Honor Harrington 11. Wie Phoenix aus der Asche
den Brustkorb einzudrücken! In der Öffentlichkeit hätte ein manierlicher Grayson nicht einmal eine seiner eigenen Ehefrauen so feurig umarmt. Dann überkamen Honor des Protectors Gefühle, die Überraschung schwand aus ihrem Blick, und sie legte ihren verbliebenen Arm ebenso fest um ihn. Auch für sie war diese Berührung unangemessen, obwohl Benjamin den Kontakt hergestellt hatte. In diesem Moment aber handelte er nicht als der Protector, aus dessen Händen sie zehn Jahre zuvor ihren Gutsherrnschlüssel empfangen hatte, sondern als der Freund, der sie hatte sterben sehen – und der sie nun erblickte, dem Leben wiedergegeben. In diesem Moment gab Benjamin gar nichts darauf, was die eisernen Regeln des graysonitischen Protokolls für den Protector vorsahen.
Der Augenblick war ebenso kurz wie intensiv, dann atmete Benjamin tief durch, trat zurück und hielt sie auf Armeslänge, die Hände auf ihre Schultern gelegt. Forschend blickte er ihr ins Gesicht. Völlig trocken waren seine Augen nicht, doch daran störte sich niemand. Auch Honor war gerührt, indes spürte sie unter seiner Wiedersehensfreude grimmigen, kalten Zorn.
»Das Auge hat’s wieder erwischt, oder?«, fragte er schließlich. Honor nickte, und die belebte Hälfte ihres Mundes verzog sich zu einem bittren Lächeln. »Das Auge, und die Ersatznerven sind alle zum Teufel … Und der Arm«, sagte er tonlos. »Sonst noch was?«
Sie erwiderte seinen Blick; sie wusste bestimmt, dass seine anscheinende Ruhe nur gespielt war. Honor hatte sich davor gefürchtet, wie er wohl auf ihre Verletzungen reagieren würde und besonders auf die Umstände, unter denen sie sie erlitten hatte. Einen Vorgeschmack hatte sie bereits von Judah Yanakov und Thomas Greentree erhalten … und von jedem anderen graysonitischen Offizier, dem die Geschichte bislang erzählt worden war.
Sie hatte immer gewusst, dass sie in ihrer ›zwoten‹ Navy einen Sonderstatus genoss. Das war vermutlich schon Grund genug, um den finsteren, unnachgiebigen Hass zu wecken, den Honor bei den Offizieren gespürt hatte, während sie ihre Gefangenschaft zu überspielen versuchte, den Hunger und die nicht abreißenden Versuche der SyS-Schergen, sie durch Demütigungen zu brechen. Die Offiziere waren jedoch auch Graysons, und trotz aller Änderungen, die Benjamin Mayhews Reformen schon herbeigeführt haben mochten, gehörte es zu den Urinstinkten aller männlichen Graysons, Frauen zu beschützen. Honor hegte den Verdacht, dass die Nachricht von ihrem Tod genügend von ihnen an einen Punkt getrieben hatte, der nur einen Schritt von Berserkerwut entfernt gewesen war. Nein, sie wusste es sogar, denn sie hatte den Nachhall des Grimms gespürt, der noch immer in Judah Yanakov kochte – und von Greentree hatte sie von dem Befehl erfahren, den Yanakov während der Schlacht vom Basilisk-Terminus den graysonitischen Kommandanten erteilt hatte. Zu erfahren, wie man tatsächlich mit ihr umgesprungen war, machte die Graysons auf eine scheinbar irrationale Weise noch rasender als der Anblick ihres angeblichen Todes im HD, obwohl sie nun wussten, dass sie überlebt hatte.
Männer , dachte sie enerviert und zugleich voll Zuneigung. Besonders Männer von Grayson! Nicht dass Hamish auch nur eine Spur besser wäre. Für keinen von ihnen sind die Tage der Bärenhäute und der Mastodeons besonders fern.
Wie dem auch immer war, sie musste sehr achtsam überlegen, wie sie diesem Mann hier ihre Erlebnisse berichtete. Benjamin Mayhew war der Planetare Protector von Grayson und Lehnsherr der Gutsherrin von Harrington, und ihr Verhältnis schloss sämtliche komplizierten, ineinander verflochtenen Schuldigkeiten des Lehnswesens ein – und dazu gehörte auch die Pflicht, Verletzungen, Demütigungen und Verstümmelungen zu rächen, die dem Vasallen zugefügt worden waren. So aufgeklärt er im Vergleich zu den Standards seiner Geburtswelt auch wirken mochte, er war und blieb ein Grayson. Vor allem aber war er Honors guter Freund und hatte nicht vergessen, dass er ihr und Nimitz das Leben seiner ganzen Familie schuldete. Gerade weil er der Protector von Grayson war – und das wog von allem am schwersten –, vermochte er dem Zorn, den er empfand, schrecklichen Ausdruck zu verleihen.
»Damit wäre die Mängelliste vollständig, was mich betrifft«, sagte sie nach einer kurzen Pause, und ihr Sopran klang ruhig, fast entrückt. »Auch Nimitz muss geflickt werden.« Sie hob die Hand und streichelte dem Kater die Ohren, die aus dem
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