Honor Harrington 11. Wie Phoenix aus der Asche
neben ihrem Ehemann. Als sie ihre Tochter erblickte, stiegen ihr ebenfalls Tränen in die fein geschnittenen Mandelaugen. Alfred Harrington überragte sie wie ein Turm. In seinem Gesicht arbeitete es; seine Gefühle waren so stark und tief, dass Honor es kaum ertragen konnte, sie zu spüren. Links neben Allison stand Howard Clinkscales. Unter dem Eindruck des Wiedersehens war sein grimmiges, zerklüftetes Gesicht völlig erstarrt. Er stützte sich auf den Stab mit dem Silberknauf, das Zeichen seines Amtes als Regent des Guts von Harrington. Neben ihm stand Miranda LaFollet mit dem Baumkater Farragut in den Armen. Im Ausdruck ihrer Augen entblößte sie ihr Herz, denn endlich sah sie ihre Gutsherrin und ihren Bruder wieder. Rechts von Alfred stand ein Mann mit lichtem, sandfarbenen Haar und grauen Augen, der sie anstarrte, als wolle er seinen Augen nicht trauen. Honor spürte James MacGuiness’ überwältigende Freude – eine Freude, die nur ganz allmählich seine grenzenlose Furcht verdrängte, dass sich die unglaublich anmutende Nachricht von ihrer Rückkehr doch noch als Irrtum entpuppen könne. Um all diese Gefühle wand sich die sinnesbetörende Wiedersehensfreude, die von der schlanken, gefleckten Gestalt auf MacGuiness’ Schulter ausstrahlte, denn die Baumkatze Samantha sah ihren Lebensgefährten wieder.
Für Honor waren die Emotionen zu viel. All diese Personen bedeuteten ihr so viel, von allen brandeten solche Gefühlsstürme über sie hinweg. Und sie besaß keine Abwehr dagegen. Sie spürte, wie ihr die Züge entglitten – nicht vor Trauer, sondern eines Glückes wegen, das zu groß war, um erträglich zu sein.
Das hat Benjamin mit Absicht getan , dachte sie irgendwo ganz weit hinter dem Wirbelsturm ihrer eigenen Empfindungen. Benjamin weiß von meiner Link mit Nimitz und hat dafür gesorgt, dass bei meinem ersten Wiedersehen mit ihnen kein Zeuge anwesend ist, der nicht zum inneren Kreis gehört; kein Fremder soll sehen, wie ich endgültig die Beherrschung verliere.
Dann war kein Platz mehr für Gedanken. Keine zusammenhängenden Gedanken jedenfalls. Honor Harrington war vierundfünfzig T-Jahre alt, doch das hatte keine Bedeutung mehr, als sie von Benjamin Mayhews Seite vortrat und mit getrübtem Blick den Arm nach ihrer Mutter ausstreckte.
»Mama?«, flüsterte sie mit heiserer Stimme. Ihre Eltern traten auf sie zu, und Honor schmeckte Salz auf den Lippen. »Daddy? Ich …«
Die Stimme versagte ihr völlig, doch wen interessierte das? Nichts auf der Welt zählte noch, als ihr Vater sie erreichte und die Arme um sie schlang, die immer für sie da gewesen waren. Sie spürte die zermalmende Kraft des Sphinxianers in ihnen, und doch umschlossen sie Honor mit einer grenzenlosen Sanftheit. Ihre Schirmmütze fiel zu Boden, als ihr Vater sein Gesicht in ihr Haar drückte. Dann war auch Honors Mutter da und drängte sich an sie, und Alfred schloss sie in die Umarmung mit ein. Für diesen kurzen Moment brauchte Honor Harrington sich weder wie eine Gutsherrin noch wie ein Raumoffizier zu betragen, sie konnte einfach nur Tochter sein, zurückgekehrt durch ein Wunder, das weder ihr Vater noch ihre Mutter begriff. Honor umarmte ihre Eltern fester als umgekehrt.
Später wusste sie nicht zu sagen, wie lange sie dort so gestanden hatten. Einige Dinge sind zu gefühlsbetont und zu wichtig, als dass man sie in Minuten und Sekunden zerteilen sollte. Dieser Moment gehörte dazu. Er dauerte so lange, wie er dauern musste, doch schließlich spürte Honor, dass ihre Tränen versiegten. Sie atmete unfassbar tief durch und zog sich etwas zurück, ohne ihres Vaters Umarmung zu brechen. Mit tränenüberströmtem Gesicht blickte sie ihn an.
»Ich bin wieder zu Hause«, sagte sie nur, und er nickte.
»Das bist du, mein Kleines.« Obwohl seine tiefe Stimme unsicher klang, leuchteten seine Augen. »Das bist du wirklich.«
»Ja«, mehr sagte Allison nicht, und unter Schluchzen kicherte Honor, als ihre Mutter ein kleines Taschentuch hervorzog und ihrer Tochter das Gesicht säuberte, in der Art, wie sie Müttern seit grauer Vorzeit zu Eigen ist. Allison erreichte kaum zwei Drittel der Körpergröße ihrer Tochter, und Honor bezweifelte eigentlich nicht, dass sie einen recht albernen Anblick boten, aber das war ihr nur recht. Sie blickte über ihre Mutter hinweg Clinkscales an.
»Howard«, sagte sie leise. Er verbeugte sich tief, doch sie sah trotzdem seine Tränen schimmern und schmeckte seine Freude. Rasch reichte sie ihm die
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