Honor Harrington 11. Wie Phoenix aus der Asche
braune Farbe besessen; nun aber war es von so viel Silber durchzogen, dass es im Licht der Morgendämmerung wie Edelmetall glänzte. In seinem intelligenten, ausdrucksstarken Gesicht waren mehr Falten zu sehen als früher, doch aus seinen haselnussbraunen Augen sprach auch eine tief greifende Zufriedenheit.
Meistens wenigstens. Er durfte durchaus mit sich zufrieden sein, denn er hatte die Verwandlung der Grayson Space Navy geleitet, die im Masadanischen Krieg fast völlig aufgerieben worden war, dann jedoch wie ein Phönix aus der Asche stieg und sich zur drittstärksten Flotte in hundert Lichtjahren Umkreis entwickelte. Zwar lag seine Navy nun mit der allergrößten Flotte innerhalb dieses Radius im Krieg, aber sie besaß mächtige Verbündete; im Großen und Ganzen konnte Hochadmiral Wesley Matthews auf vieles stolz sein.
Nichts linderte jedoch die eigenartige Mischung aus Empörung, Hingabe, Respekt und Gereiztheit, die er an diesem Morgen empfand. Ganz kurz nur warf er ehrerbietig einen finsteren Blick auf den Rücken des kleinen, drahtigen Mannes, der mit ihm in der Wartehalle stand, dann blickte er wieder aus dem Fenster.
Austin City war die älteste Stadt auf Grayson. Während viele ihrer öffentlichen Gebäude unter Schutzkuppeln standen, war die Stadt selbst zum Himmel offen, und auf Graysons Nordhalbkugel herrschte Winter. In der Nacht hatte es stark geschneit, und mehr als mannshoch ragten die Berge auf, die von den Schneepflügen des Landefeldes zusammengeschoben worden waren. Matthews hatte Schnee noch nie besonders leiden mögen, war aber bereit, manchmal Zugeständnisse zu machen. Zum Beispiel in diesem Jahr. Der viertausend Jahre alte christliche Kalender, an den sich Graysons offizielle Zeitrechnung beharrlich klammerte, stand in ungewöhnlicher Übereinstimmung mit der Jahreszeit, und darum bereitete es ihm mehr Vergnügen als sonst, seinen liebsten Weihnachtsliedern zu lauschen. Schließlich kam es nicht allzu oft vor, dass ein Grayson Gelegenheit erhielt, mit eigenen Augen zu sehen, warum sich die alten Lieder so sehr für die ›weiße Weihnacht‹ begeisterten.
Aber Weihnachten lag zwei Tage zurück, und Matthews hatte sich wieder militärischen Angelegenheiten zuwenden müssen. Er verzog das Gesicht, als er auf das Dutzend Waffenträger im Mayhewschen Kastanienbraun und Gold blickte. Die Männer hatten am Fuß des Hallenlifts Aufstellung genommen. In der kalten Luft bildete ihr Atem weiße Wölkchen. Hinter ihnen hatten sich mehrere Dutzend Marineinfanteristen scheinbar zufällig über die Zufahrten vereilt. Der Anschein der Zufälligkeit indes trog, wie Matthews sehr wohl wusste. Diese Marines waren sehr bedachtsam positioniert, Unterstützung lag nur einen Com-Anruf weit entfernt, und sie waren schwer bewaffnet, wach und aufmerksam.
Und wenn er sich nicht sehr irrte, war jeder einzelne von ihnen genauso erzürnt über die jüngste Grille des Protectors wie er selbst.
Eines Tages muss Benjamin doch endlich erwachsen werden. Ich weiß, er liebt es, sich von der Leine zu lösen, wann immer er kann, und der Prüfer weiß, dass ich es ihm nicht verüble, aber er darf einfach nicht mit minimalem Schutz mitten auf einen Raumflughafen herumstehen! Und wo wir schon beim Herumstehen sind: Es wäre wirklich nett, wenn er mir einen Grund genannt hätte, weshalb ich hier mit ihm meine Zeit vertrödeln soll! So schmeichelhaft es ist, vom Protector persönlich hinzu gebeten zu werden, ich muss dafür hundert Sachen liegen lassen, die dringend erledigt werden müssten. Außerdem stehe ich wirklich nicht gern vor der Morgendämmerung auf und ziehe mir die Galauniform an, nur weil mein Protector sich in den Kopf gesetzt hat, für einen Tag den Palast zu schwänzen.
Benjamin Mayhew drehte den Kopf und lächelte den Hochadmiral an, der ihn überragte. Das Lächeln war charmant und stammte von einem charismatischen Mann, so dass Matthews es fast gegen seinen Willen erwiderte. Der Protector trug den Ausdruck des kleinen Jungen zur Schau, der es geschafft hatte, seinem Lehrer zu entwischen; im Laufe des letzten Jahrzehnts war diese Miene Matthews nur zu vertraut geworden. Benjamin wirkte dadurch viel jünger als ein Mann Mitte vierzig. So alt wirkte er zumindest für die Augen eines Graysons; jemand, dem von der Geburt an Prolong zur Verfügung gestanden hatte, hätte ihn für einen Mann von fünfzig, wenigstens sechzig Jahren gehalten. Mit seinem Gesichtsausdruck vermochte der Protector die Stimmung des
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