Honor Harrington 11. Wie Phoenix aus der Asche
würde man ihm lediglich Verfolgungswahn vorwerfen. Wenn er sich bei zukünftigen Diskussionen über McQueen nicht zusammenriss, würde seine Glaubwürdigkeit in Pierres Augen leiden. Wenn sie aber ihre neuen Befehle tatsächlich nur als Vorwand benutzte, um die Zentralflotte in eine Einheit umzustrukturieren, die für McQueens eigene Pläne … empfänglicher wäre, dann musste Saint-Just dafür sorgen, dass ihre Absichten scheiterten.
Er klappte den Sessel zurück, trommelte mit den Fingern auf der Armlehne und schwenkte in kurzen, nachdenklichen Bögen hin und her. Wonach suchte er? Er suchte eine Möglichkeit, ihren Plänen die Zähne zu ziehen. Zugleich musste er seine Maßnahmen jedoch genauso logisch begründen können wie McQueen die ihren. Aber wie ging das?
Er dachte eine Weile nach, und plötzlich brach er das Trommeln ab. In seinen Augen funkelte es begeistert.
Theisman , dachte er. Der Mann ist ungefähr so unpolitisch wie ein Felsklotz, er ist tüchtig, und die Flotte respektiert ihn. Außerdem sitzt er, seit McQueen Kriegsministerin ist, in Barnett fest. Welche Pläne sie auch immer mit Bukato und der Bande im Oktagon geschmiedet hat, sie kann Theisman nicht mit einbezogen haben. Wenn er plötzlich als Kommandeur der Zentralflotte auftaucht, dann sind ihr die Hände gebunden, bis sie ihn in ihre kleine Verschwörung verwickelt hat. Und da sie selber Barnett plündert, weil die DuQuesne-Basis nach ihren eigenen Worten entbehrlich geworden ist, kann sie nicht mehr behaupten, dass wir ihn dort brauchten, weil der Posten so überlebenswichtig für uns sei.
Saint-Just brütete eine Weile über der Idee, wand sie in Gedanken hin und her, um nur keinen Aspekt zu übersehen. Die perfekte Maßnahme gegen McQueen war es nicht, aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. Außerdem würde McQueen begreifen, wieso Saint-Just diesen Schritt unternahm, und wäre fuchsteufelswild darüber … und das war für sich genommen doch auch schon etwas.
31
Honor blickte sich in dem kleinen Büro um und seufzte. Das Seufzen kam von Herzen, und trotzdem hätte sie nicht sagen können, ob es der Erleichterung oder der Traurigkeit entsprang. Gewiss lag Erleichterung darin, denn die letzten Monate waren weit anstrengender gewesen, als man vom so genannten ›Genesungs-Dienst‹ annehmen sollte. Natürlich war das hauptsächlich ihre eigene Schuld. Eigentlich hätte sie wenigstens eine von Sir Thomas’ Bitten ablehnen müssen, und doch hätte sie das ebenso ungern getan wie die Copperwalls ohne Drachen hinunterzusegeln.
Dennoch war sie gezwungen gewesen, einige schwierige Entscheidungen zu treffen. Vor allem hatte sie das Sprachlern-Projekt so gut wie ganz an Dr. Arif und Miranda abtreten müssen. An die beiden und an James MacGuiness. Zu den schwierigsten Dingen seit der Flucht aus Cerberus gehörte es, Nimitz zu seinem und Samanthas ›Sprachunterricht‹ zurückzulassen, denn vor allem während der ersten Stunden hatte sie – trotz der Entfernung – seine Frustration deutlich gespürt. Schon vor Jahren war sie gezwungen gewesen zu akzeptieren, dass sie loslassen musste, sobald sie Verantwortung einmal delegiert hatte. Wenn man die Person, der man eine Aufgabe übertrug, dennoch nicht aus den Augen ließ, beschwor man sämtliche Nachteile herauf: Man verbrachte fast genauso viel Zeit mit dem Überwachen, wie man für die Aufgabe selbst benötigt hätte, und die Person, an die man delegiert hatte, gewann den Eindruck, dass man kein Vertrauen in sie und ihre Fähigkeiten setzte. Davon abgesehen, konnte jemand nur dadurch etwas lernen, dass er es tat, und indem man versuchte, seinem Schüler alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, tat man ihm keinen Gefallen, auch wenn es zunächst danach aussah. Im besten Fall kostete es ihn die Chance, aus seinen Fehlern zu lernen. Im schlimmsten zögerte man damit nur den Zeitpunkt heraus, an dem er einem Problem gegenüberstand, das er nicht bewältigen konnte – mittlerweile fühlte er sich aber womöglich schon gefährlich selbstsicher und bemerkte gar nicht, dass das Problem ihn überforderte.
All diese Dinge hatte Honor schon vor langer Zeit beim Umgang mit Subalternoffizieren gelernt. Sie lächelte schmal, als ihr ein unfassbar junger Rafael Cardones und eine Reihe fehlerhaft programmierter Ortungsplattformen in den Sinn kam. Sie hatte das Delegieren gelernt, weil sie es als ihre Pflicht ansah, den jüngeren Leuten etwas beizubringen. Trotzdem fiel es ihr nun
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