Honor Harrington 11. Wie Phoenix aus der Asche
viel schwerer, eine Aufgabe, die sie am liebsten persönlich erledigt hätte, an jemanden zu übertragen, der sie genauso gut verrichten konnte. Sie kam sich dadurch irgendwie faul und träge vor. Als drücke sie sich davor. Wahrscheinlich hatte sie im vergangenen T-Jahr genau deswegen nie wirklich ausreichend Zeit für irgendeine Aufgabe gefunden.
Doch hätte sie nicht so viele Stunden in ihrem Büro verbracht, wäre ihr eine gewisse Sache vermutlich nie bewusst geworden. Etwas, das sie zusammen mit dem Büro wieder aufgeben müsste – und aus dem sich die Traurigkeit erklärte, die ebenso sehr aus ihrem Seufzen sprach.
Sie liebte es zu lehren.
Wahrscheinlich hätte sie darüber nicht überrascht zu sein brauchen, denn schließlich genoss sie an ihrer Arbeit eines ganz besonders: den geistigen Horizont ihrer untergebenen Offiziere zu erweitern und mit ihnen die Freude zu teilen, die sie empfunden hatte, als sie einen weiteren Aspekt des gemeinsamen Berufes meisterte. Und wenn sie ehrlich war, gab es wohl nichts Zufriedenstellenderes als zu beobachten, wie die Männer und Frauen reiften und das Potenzial nutzten, das sie in ihnen von Anfang an entdeckt hatte – kein Orden, Titel und Prisengeld konnte diese Erfahrung aufwiegen. Diesen Leuten gehörte die Zukunft, aber sie würden kämpfen und auch sterben müssen, damit das Sternenkönigreich eine Zukunft erhielt. Ihnen beizubringen, was sie alles leisten und erreichen konnten, gehörte zu den höchsten Berufungen, die Honor sich vorstellen konnte.
Darum hatte sie sich am Hörsaalpult als Naturtalent erwiesen. Darüber hinaus hatte ihr empathischer Sinn ihr eine unschätzbare Gabe erwiesen: die des Wissens. Honor hatte gewusst , dass ihre Studenten begriffen, was sie ihr bedeuteten – wie stolz sie auf sie war.
Sie würde D’Orville Hall vermissen. Ganz Saganami Island würde ihr fehlen … auch wenn sich die Akademie sehr verändert hatte, seit Honor hier selbst die Schulungsbänke gedrückt hatte. Alles war so viel größer geworden, so viel geschäftiger. Der Krieg, der während Honors Kadettenjahren nur ein ferne Bedrohung gewesen war, hatte die Akademie mit seiner Realität wie eine Lawine überrollt und zu etwas Schnelllebigerem, Wilderem gemacht; die Entschlossenheit aller war grimmiger geworden. In allzu vieler Hinsicht war die Akademie direkt mit der Front verbunden, was durchaus positive Aspekte hatte, überlegte Honor. Den Kadetten musste klar gemacht werden, dass sie vom Hörsaalstuhl in einen Krieg gingen, in dem scharf geschossen wurde; überlebenswichtig war es, dass sie das begriffen. Dennoch hatte die ›Saganami-Erfahrung‹, wie man es wohl nennen sollte, dabei etwas verloren. Nicht ihre Unschuld … oder Verschlafenheit. Aber etwas vom … Vertrautwerden. Von der Art, in der junge Männer und Frauen allmählich in die Navy hineinwuchsen, und auch von der Geduld, mit der die Navy diese Umwandlung von Zivilisten in Soldaten begleitete.
Nein, auch das stimmte nicht ganz. Honor konnte im Augenblick nicht in Worte fassen, was sie meinte, und bezweifelte, dass es ihr je gelingen würde. Vielleicht gab es keine Worte dafür.
Und vielleicht erinnere ich mich ja auch nur an einen goldenen Schimmer, den es zwar nie gab, der sich aber anscheinend auf alles legt, sobald wir an ›glücklichere Tage‹ zurückdenken , überlegte sie mit ironischem Schnauben. Auf seinem Sitzbaum neben der Tür bliekte Nimitz leise.
»Also gut, Stinker. Also gut! Ich habe genug Trübsal geblasen«, sagte sie zu ihm und schloss energisch die Schreibtischschublade. Ihre Papiere und die Speicherchips waren bereits verstaut worden. Sie warf einen letzten Blick nach Staub oder vergessenen Besitztümern in die Runde, dann hielt sie dem Kater die ausgebreiteten Arme hin.
Mit voll wiederhergestellter alter Zuversicht sprang er von seinem Sitzbaum, und lachend teilte und schmeckte Honor sein Entzücken, mit dem er in ihren Armen landete, an ihr hoch huschte und sich auf ihre Schulter setzte. Vorsichtig verankerte er sich mit den Handpfoten – beiden Handpfoten, die ihm endlich wieder perfekt gehorchten – an ihrer Uniformjacke und bohrte die Krallen der Echtfüße sanft unterhalb ihres Schulterblatts in das Polster. So hielt er sich, eine Echthand auf ihren Kopf gelegt, und Honor atmete tief durch.
Wenn man bei einer Raumoffizierskarriere eins lernte, dann dass nichts blieb, wie es war. Türen öffnen und schließen sich, Pflichten und Verwendungen ändern sich , dachte
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