Honor Harrington 14. Honors Krieg
vielleicht auch nicht. Der Wachverband des Systems reichte aus, um einen gelegentlichen Übergriff abzuschrecken, und wenn er nicht stark genug war, um einen Großangriff zurückzuschlagen, besaß er doch genügend Kampfkraft, dass jeder, der Tequila erobern wollte, dafür einen gehörigen Preis zahlen musste. Leider sah es so aus, als hätten die Havies genügend Kleingeld mitgebracht.
Wenigstens verfügte Vizeadmiral Schumacher über ein brauchbares überlichtschnelles Ortungssystem. Die großen passiven Gruppenantennen, die nach den früheren Plänen die Außenbereiche des Systems abdecken und nach Hyperabdrücken Ausschau halten sollten, waren – natürlich – niemals eingerichtet worden: zu kostspielig in Zeiten knapper Flottenbudgets. In diesem Fall spielte das jedoch wahrscheinlich überhaupt keine Rolle, denn es sah nicht gerade danach aus, als verfolgten die Angreifer eine besonders subtile Taktik. Sie schickten lediglich ein Geschwader Superdreadnoughts herein, mit Kreuzern, die ihnen Flankenschutz bieten sollten. Durch die Stärke ihrer Graserarmierung würden die Shrike Bs auch bei Superdreadnoughts Schaden anrichten, der jedoch in keinem Verhältnis zu den Verlusten stände, den die LACs erleiden würden. Selbst havenitische Superdreadnoughts schossen ungeschützte Leichte Angriffsboote in Stücke, wenn diese sich auf Energiewaffenreichweite annäherten.
Folglich hatte Cal Recht: ›am Arsch‹ beschrieb ihre Lage sehr gut.
»Startbefehl kommt herein, Skipper«, meldete Lieutenant Benedict. Flanagan wandte sich vom Plot ab und sah ihren Ersten Offizier an.
»Anscheinend befolgen wir Delta-Drei, zumindest anfangs«, sagte Benedict.
»Zeit bis zum Start?«, fragte sie, und er blickte auf seine Konsole.
»Einunddreißig Minuten«, sagte er. »Der Technische Leitstand hat die Emitter ferngesteuert angeheizt, als der Alarm losging. Noch achtundzwanzig Minuten, und sie sind optimal.«
»Was ist mit Raketenzuladungen?«
»Habe nichts auf dem Schirm, Skipper«, entgegnete Benedict mit einem Schulterzucken. »Sieht aus, als würden wir mit dem Üblichen starten.«
Es gelang Flanagan, ihn nicht ungläubig anzustarren, was für die Moral katastrophal gewesen wäre. Leicht fiel es ihr nicht. Die Standard-Raketenzuladung bestand aus einem bisschen von allem, aber nicht genügend von irgendetwas. Sie diente als Bereitschaftsbestückung, mit der man unter fast allen Umständen zumindest ein wenig ausrichten konnte. Trotzdem war sie letztendlich eine Notbestückung . Die taktische Doktrin setzte voraus, dass jeder COLAC die Raketenzuladung seiner Boote auf die gegebene taktische Situation maßgerecht zuschneiderte: Er sollte alle Raketentypen herauswerfen, die er nicht brauchte, und dadurch Platz für die schaffen, die er benötigte – solange er nicht gezwungen war, einen Alarmstart unter Notfallbedingungen durchzuführen und ein nahes Ziel anzugreifen. Das war hier nicht der Fall. Selbst wenn es den Havies gelungen sein sollte, den Raketen ihrer Großkampfschiffe die gleiche hohe Reichweite zu verleihen wie die RMN, benötigten die Superdreadnoughts dennoch fast drei Stunden, um sich ›the Tamale‹ auf Angriffsentfernung zu nähern. Dadurch bliebe dem 1007. genug Zeit, um die Standard-Zuladungen zu entfernen und die LACs mit Raketen zu bestücken, die sich gegen Superdreadnoughts benutzen ließen – zumal die Hochgeschwindigkeits-Magazinröhren der eine Teil von T-001 waren, der immer perfekt funktioniert hatte.
Doch al-Salil und Schumacher sahen das offenbar anders.
Sarah Flanagan stand kurz davor, den COLAC anzurufen und ihn darauf aufmerksam zu machen, dass es ganz nett wäre, wenn er jetzt ein wenig Vernunft an den Tag legte. Sie bezweifelte nicht, dass die meisten Angehörigen des Geschwaders sterben würden (auch wenn ihr Unglaube und ihre professionelle Nüchternheit bisher dafür sorgten, dass diese Erkenntnis nicht in ihr Bewusstsein vordrang). Die Chance, dass sie zu den Gefallenen gehören würde, war sehr hoch, das wusste sie. Und der Gedanke, dass al-Salil sie einfach so wegwarf, ohne wenigstens zu versuchen, den Schaden zu maximieren, den sie vor der eigenen Vernichtung anrichten könnten, beleidigte sie zutiefst in ihrer Professionalität.
Beinahe hätte sie ihn angerufen. Sie hätte ihn anrufen sollen, und das wusste sie. Doch sie war die jüngste Staffelchefin im ganzen Geschwader und wusste genau, wie al-Salil reagiert hätte. Unter diesen Umständen empfand sie kein gesteigertes
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