Honor Harrington 15. Die Spione von Sphinx
dann, wenn kein Mann in der Nähe war. Dafür muss ich dich loben. Allerdings bleibt dein Blick ab und an zu lange auf einem Drucketikett oder anderen Texten hängen. Sicher bin ich mir erst seit dem Tag, an dem du verhindert hast, dass Klein-Uriel sich verletzt.«
Judith erinnerte sich noch genau an den Tag. Uriel hatte gerade erst laufen gelernt, als sie in Ephraims Haus kam. Seine Mutter Raphaela war bereits wieder hochschwanger gewesen, und auf den Jungen Acht zu geben hatte zu den zahlreichen Pflichten gehört, die man der graysonitischen Gefangenen auferlegte.
Ihren Hass auf Ephraim auf seine Kinder zu übertragen hatte sie nicht übers Herz gebracht, und an jenem Tag, an dem Uriel nach einem bunten Zapfen griff, der oberflächlich betrachtet wie eins der vielen Spielzeuge aussah, die im Kinderzimmer herumlagen, hatten in Judith das Bedürfnis nach Geheimhaltung und ihr Ehrgefühl einen heftigen Kampf ausgefochten.
Denn es war kein bunter Zapfen, sondern eine stromführende Elektroinstallation, die ein schlampiger Techniker nicht komplett verschlossen hatte.
Für einen Augenblick, der ihr viel länger erschienen war als er andauerte, hatte Judith auf das pummelige Händchen und den Zapfen gestarrt. Nur die Beschriftung offenbarte, welche Gefahr er darstellte. Wenn sie Uriel zurückhielt, verriet sie vielleicht ihr Geheimnis.
Uriel hatte die Finger kaum nach dem scheinbaren Spielzeug ausgestreckt, als Judith den Kleinen packte und wegriss. Nachdem sie das weinende Kind besänftigt packte, indem sie ihn mit einem noch viel tolleren Spielzeug ablenkte, war Judith zurückgekehrt, um die Gefahr außer Reichweite zu räumen. Wenn sie nun daran zurückdachte, erinnerte sie sich, dass Dinah im Zimmer gewesen war, doch da die älteste Frau nichts zu ihrem Verhalten gesagt hatte, war Judith davon ausgegangen, dass sie zu sehr mit ihrer eigenen Arbeit beschäftigt gewesen war.
»So lange schon«, sagte Judith, und von der Betonung her war es eine Frage.
»Du warst sehr vorsichtig«, antwortete Dinah, »und Ephraim ist niemals etwas an dir aufgefallen – außer natürlich, dass er sich gefragt hat, ob sich hinter deiner offensichtlichen Begriffsstutzigkeit etwa Auflehnung verbarg. Ich habe ihm immer versichert, dass ich es nicht glaubte.«
»Du hast mich geschützt«, sagte Judith in fast anklagendem Ton. »Damals und heute. Warum?«
»Damals, heute und zwischendurch ein Dutzend Mal«, entgegnete Dinah. »Warum? Weil du vorsichtig warst, weil du mit Freundlichkeit behandelst, die zu hassen du allen Grund hättest, und weil du mir Leid getan hast. Aber das ist noch nicht alles.«
Dinah hatte so lange geschwiegen, dass Judith schon glaubte, sie würde nie weiterreden.
»Ja?«, hatte sie die Älteste gedrängt.
»Und«, hatte Dinah mit einem seltsamen Leuchten in ihren grauen Augen gesagt, »weil ich dachte, dass du vielleicht die Eine bist, die uns prophezeit wurde, die Moses, die uns aus der Knechtschaft in ein besseres Leben führen soll.«
Midshipman Wintons Höflichkeit und der Übereifer, den er an den Tag legte, ganz egal, wie viel Arbeit er hatte oder wie viele Übungen die 2TO für ihn ansetzte, konnten das Unbehagen nicht mildern, das Carlie beschlich, wenn sie ihren Schützling königlichen Blutes beobachtete.
Solange der junge Mann nicht tatsächlich Dienst tat, war er kaum je ohne seinen Anhang zu sehen. Zwei dieser Klammeraffen – Astrid Heywood und Osgood Russo – waren unmittelbar nach Michaels Abkommandierung an Bord der Intransigent versetzt worden. Die anderen drei waren dem Leichten Kreuzer bereits zugeteilt gewesen, doch das hielt sie nicht davon ab, sich ihre Nähe zum Kronprinzen zunutze zu machen.
Die Existenz dieses Kaders hatte die Kadettenkammer ins zwei Gruppen gespalten, denn die übrigen sechs Mitglieder gaben sich die größte Mühe, Midshipman Winton aus dem Weg zu gehen. Als wäre das nicht schlimm genug, war sich Carlie sogar zehn Tage, nachdem sich der letzte Raumkadett der Intransigent zum Dienst gemeldet hatte, noch immer unsicher, ob Michael Winton seine Gefolgsleute nun ermutigte oder nicht. Sicher war sie sich nur, dass er nichts tat, um sie zu entmutigen, und in ihren Augen war das beinahe genauso schlimm.
Hinzu kam das leidige Thema von Michael Wintons Zusatzaufgaben, Aufgaben, die ihn zwangen, recht viel Zeit mit dem Diplomatenkontingent zu verbringen, wegen dem die Intransigent Kurs auf das Endicott-System genommen hatte. Carlie bezweifelte nicht,
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