Honor Harrington 15. Die Spione von Sphinx
Shobhana leise und betrachtete Abigail durch den Dampf der Dusche mit wissenden Augen. »Hat er dich anmachen wollen, was?«
»Nun, ja«, gab Abigail zu. Sie wusste, dass sie errötete, aber sie konnte nichts dagegen tun. Es lag weder an der Art, wie Shobhana sie anblickte, noch an dem Umstand, dass sie beide splitternackt waren. Auf Grayson gab es dreimal so viele Frauen wie Männer, und tausend Jahre lang waren auf Abigails Heimatwelt Ehe und Mutterschaft die einzig denkbare Laufbahn für eine anständige Frau gewesen. In Anbetracht der Geburtenungleichheit war die Konkurrenz um die wenigen Männer oft … intensiv. Vor allem aber bedeutete die graysonitische Praxis der Polygamie, dass eine Grayson damit rechnen musste, eine von wenigstens zwei Frauen zu sein, und sich auf entsprechende Offenheit und Zugeständnisse einzustellen. Ein gravsonitisches Mädchen war darum an einen Grad von unverhüllten ›Mädchengesprächen‹ gewöhnt, der weitaus irdischer und pragmatischer war, als die meisten Manticoraner geglaubt hätten, denn im Sternenkönigreich herrschte ein völliges anderes Bild der Graysons. Auch gemeinsam genutzte Unterkünfte und Badezimmer waren für eine Grayson nichts Neues. Doch darum ging es überhaupt nicht, wenn sie ehrlich war, oder? Sie war an derartige Offenheit gegenüber anderen jungen Frauen gewöhnt, aber nicht daran, dass ihr offenes maskulines Interesse gegenübergebracht wurde.
»Ich bin überhaupt nicht überrascht«, sagte Shobhana schließlich und betrachtete die Freundin mit geneigtem Kopf. »Weiß Gott, wenn ich deine Figur hätte, würde ich mir die ganze Zeit die Kerle mit einem Knüppel vom Leib halten müssen! Oder vielleicht auch gerade nicht«, gab sie fröhlich zu. »So wie ich Freund Grigovakis einschätze, war es für ihn ein besonderer Kitzel, dass du von Grayson bist, was?«
»Das habe ich jedenfalls angenommen«, stimmte Abigail mit verzogenem Gesicht zu. »Er konnte es nicht erwarten, die Neobarb-Schneekönigin ins Bett zu bekommen, um sie aufzutauen. Und wahrscheinlich vor allen seinen Freunden damit anzugeben! Entweder das, oder er ist einer von den Idioten, die alle graysonitischen Frauen für nach Sex hungernde, geifernde Nymphomaninnen halten, deren wahnsinnige Lust von religiöser Programmierung im Zaum gehalten wird, weil wir bloß so wenige Männer haben.«
»Wenn ich mir überlege, mit welchen Leuten er sich normalerweise abgibt, hast du wahrscheinlich Recht. Himmel, mich würde es nicht mal überraschen, wenn er so blöd wäre, an beide Klischees gleichzeitig zu glauben!« Shobhana schnitt eine Grimasse. Dann wedelte sie mit der Hand über der Duschsteuerung und griff, als das Wasser versiegte, nach einem Handtuch.
»Sag mal«, fuhr sie fort, »wie hat er deine Ablehnung denn aufgenommen?«
»Nicht sehr gut«, seufzte Abigail. Sie schloss die Augen und hob den Kopf zu einer letzten Spülung, dann stellte sie ebenfalls die Dusche ab und nahm sich ein Handtuch. »Tatsächlich«, gab sie zu, während sie sich das Gesicht abtrocknete, »war mein Nein wahrscheinlich weniger … taktvoll als möglich. Ich war damals erst zwo Wochen auf der Insel und stand unter einem ziemlich heftigen Kulturschock.« Sie senkte das Handtuch und grinste die Freundin schief an. »Selbst bei den züchtigsten Mantys rollen sich einer anständig erzogenen graysonitischen Jungfrau die Fußnägel auf, weißt du! Und bei jemandem wie Grigovakis …!«
Sie rollte mit den Augen, und Shobhana lachte leise. Ihr Blick indes war ernst.
»Er hat dich doch nicht bedrängt, oder?«
»Auf Saganami Island? Eine Grayson? Eine Grayson, von der jeder behauptete, sie sei der Protegé der Lady Harrington ?« Abigail lachte auf. »Niemand wäre so dumm, in Pavel Youngs Fußstapfen zu treten, Shobhana!«
»Nein, wahrscheinlich nicht«, räumte Shobhana ein. »Aber ich wette, er lässt seitdem keine Gelegenheit aus, dir das Leben zur Hölle zu machen, richtig?«
»Wo er nur kann«, gab Abigail zu. »Zum Glück hatten wir nicht viel Kontakt, bis wir hierher versetzt wurden. Mir persönlich wäre es lieber gewesen, wenn es für immer so geblieben wäre.«
»Das kann ich dir nicht verdenken.« Shobhana begann, Abigail mit einem frischen Handtuch beim Trockenreiben ihrer Haare zu helfen. »Wenigstens kannst du dich schon darauf freuen, dass ihr nach dem Abschluss in zwo unterschiedlichen Navys dienen werdet!«
»Glaub mir, dafür danke ich dem Fürbitter regelmäßig«, versicherte Abigail ihr voll
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