Honor Harrington 15. Die Spione von Sphinx
eingeklemmt, während Hill die Nachhut bildete. Die Stufen, die sie hochstiegen, waren mit Teppichen bedeckt, die Handläufe vergoldet. Aus verborgenen Lautsprechern drang leiser, leiernder Gesang wie die Stimmen deprimierter Engel.
Der Führer blieb vor einer gewaltigen, mit goldenen Gitterstäben verborgenen Tür stehen.
»Ihr Botschafter empfängt Sie drinnen. Sie erhalten etwas Zeit, um zu beten und sich auf die Ältesten vorzubereiten.«
Ohne ein weiteres Wort kehrte er ihnen den Rücken zu, und Michael konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er froh war, sich aus ihrer verunreinigenden Nähe entfernen zu dürfen.
Zum vereinbarten Zeitpunkt setzte Judith ihr Täuschungsmanöver in Gang. Die übliche Tracht einer Masadanerin bestand aus einer langen Robe, die sie von Kopf bis Fuß verhüllte. In der Öffentlichkeit wurde zusätzlich ein Schleier getragen, auf den im Schutze des Frauenquartiers nicht bestanden wurde, es sei denn in den allerstrengsten Häusern.
Daraus entstand der Vorteil, dass es sehr leicht war, sich als jemand anders als eine Frau zu verkleiden. Wer auf Masada einen Menschen in Hose und Jacke sah, erblickte einen Mann und sonst nichts. Um die Dinge zu erleichtern, hatte Masada ein eher kühles Klima, und Ephraims Ländereien lagen in nördlichen Breiten. Ein weiter Mantel und Stiefel, die beide die weibliche Körperform verhüllten und den Gang tarnten, waren hier ganz normal.
Es bedarf keiner gesonderten Erwähnung, dass nicht jede Frau sich verkleiden konnte. Judith, die von Natur aus schlank und zierlich war, konnte auch ohne schweren Mantel als junger Mann durchgehen. Die Krankheit, der ihr Mann erlegen war, hätte beinahe auch Mahalia dahingerafft, und wegen ihres ausgemergelten Körpers und der berechtigten Zweifel, ob sie je wieder gesunde Kinder austragen konnte – obwohl sie zuvor zwei Geburten überstanden hatte –, war die Witwe nach dem Tod ihres Mannes ins Haus ihres Vaters zurückgeschickt worden. Auch nach ihrer Genesung blieb Mahalia sehr hager und kaum noch feminin.
Rena hatte zwar eine deutlich mütterlichen Figur, war aber zugleich auch korpulent. Durch ihre Körperfülle konnte sie überzeugend einen großen, kräftigen Mann spielen, so lange sie Mantel und Hose anbehielt.
Der erste Schritt der Täuschung bestand darin, sich das Haar zu der Kurzfrisur zu schneiden, wie sie bei Raumfahrern üblich und bei Frauen niemals anzutreffen war. Dieser einfache Schritt brachte eine gewaltige Gefahr mit sich, denn die Veränderung bei den dreien könnte nicht unbemerkt bleiben, sollte der Exodus abgeblasen werden. Dinah hatte sich mehrere Ausflüchte einfallen lassen, um die Eigenartigkeit zu erklären, doch Judith empfand nach wie vor Angst, wenn die kühle Luft ihr über den kahlen Nacken strich.
An Männerkleidung zu kommen war kein Problem. Ephraim Templeton war wohlhabend, hing aber der festen Überzeugung an, dass Müßiggang aller Laster Anfang sei. Neben der Aufsicht über die Kinder mangelte es im Frauentrakt nie an Waschen, Stopfen, Kochen und anderer ›Weiberarbeit‹. Dinah hatte sich schon vor langer Zeit als fähige Aufseherin erwiesen, sodass sich Ephraim kaum noch die Berichte anhörte, die sie ihm auf Band sprach. Mehrere Sätze Männerkleidung in den passenden Größen anfertigen zu lassen war der findigen ersten Frau ein Leichtes gewesen.
Judith und ihre Verbündeten hatten zudem den Schritt und die Eigenarten von Männern einstudiert. Zuerst war es ihnen recht schwer gefallen, in der Art und Weise zu gehen, die von einer Hose vorgeschrieben wurde, doch eigenartigerweise machten Stiefel es einfacher. Den Kopf zu heben und beiläufig Blickkontakt aufzunehmen war hingegen schon viel schwerer zu erlernen gewesen, denn solche Direktheit wurde bei Frauen selbst dann als liederlich betrachtet, wenn sie einen Schleier trugen, und sogar in den Frauenquartieren unterlassen, so lange man nicht sehr eng befreundet war.
Sobald Judith aber in ihrer Männerkleidung steckte, fühlte sie sich eigentlich gar nicht mehr als Frau. Nur ihre Augen, die in ihrem Grün mit haselnussbraunem Rand noch immer bezaubernd aussahen, wirkten vertraut. Trug sie die besonderen Kontaktlinsen, auf denen Dinah für jede Frau bestand, gehörten nicht einmal mehr die Augen zu ihr, die ihr aus einem Spiegel entgegenblickten.
Mahalia und Rena wurden ähnlich verwandelt, und Judith durchlief ein Schauer der Zufriedenheit. Wenn der Rest von Dinahs Plan genauso
Weitere Kostenlose Bücher