Honor Harrington 18. Auf Biegen und Brechen
gekostet hatte, erschrocken darüber, wie dicht Lester Tourville vor dem Erfolg gestanden hatte, betrachtete sie als Heldin und Retterin.
Und nicht etwa Sebastian D'Orville, der sein Leben in dem Wissen geopfert hatte, dass er und alle seine Leute sterben würden. Wenn D'Orville den ersten Vorstoß nicht entscheidend geschwächt hätte, wäre das gesamte Manticore-System von der Zweiten Flotte Havens verwüstet worden, ohne dass Theodosia Kuzak oder Honor sie daran hätten hindern können, und er und seine Flotte waren dafür gestorben.
Auch nicht etwa Theodosia Kuzak, deren Dritte Flotte dem Tod geradewegs vor die Rohrmündungen gefahren war. Die alles richtig gemacht und dennoch die Guillotine ausgelöst hatte, von der auch die Achte Flotte genauso sicher getötet worden wäre wie die Dritte, hätte sich Honor an ihrer Stelle befunden.
Und nicht Alistair McKeon, der wie so viele Tausend andere gefallen war, während er tat, was er immer getan hatte: seine Pflicht. Während er die Sternnation schützte, die er so liebte, und der Königin diente, die er ehrte. Indem er die Befehle der Kommandeurin ausführte, die ihn, ohne es zu ahnen, in den Tod geschickt hatte – und die nicht einmal die Chance erhielt, sich zu verabschieden.
Das Lob, die Beweihräucherung schmeckten ihr so bitter im Mund wie die Asche, die vom Scheiterhaufen des Phönix' übrigblieb, und sie spürte die Finsternis außerhalb des stillen Kinderzimmers. Die Finsternis der Zukunft mit all ihren Unwägbarkeiten, ihren Gefahren im Nachhall einer solch grausamen Zurschaustellung von Kampfkraft und solch brutalen Verlusten auf beiden kriegführenden Seiten. Die Finsternis der neuen, furchtbaren Blutschuld, die das Sternenkönigreich und die Republik zwischen sich aufgehäuft hatten. Des Hasses und der Angst, die aus solch einem kataklystischen Waffengang entstehen mussten, mit all ihren bedrohlichen Vorzeichen, wozu der Krieg zwischen Manticore und Haven noch führen konnte.
Und die Finsternis der Vergangenheit. Die Finsternis der Erinnerung und der Trauer. Des Gedenkens an die Toten, an die Menschen, die sie nie wiedersehen sollte.
Ihre Stimme hatte automatisch weitergelesen, ihre Augen waren, von der Erinnerung geführt, den Druckzeilen bis zum Fuß der Seite gefolgt, aber jetzt erst hörte Honor wieder, was sie sprach.
»Da erst bemerkte David, dass er etwas in der Hand hielt, etwas Weiches und zugleich Schweres. Als er es vor die Augen hob, um es sich genauer anzusehen, blitzte es im Sonnenlicht auf. Es war die Feder, die der Phönix ihm geschenkt hatte, die Schwanzfeder. Schwanzfeder? … Aber der Phönix hatte einen saphirblauen Schwanz gehabt. Die Feder in seiner Hand war vom reinsten, hellsten Gold.
Hinter sich hörte er ein leises Geräusch. Gegen seinen Willen sah er die Überreste des Scheiterhaufens an. David ließ die Kinnlade fallen. Mitten in der weißen Asche und der glimmenden Kohle bewegte sich etwas. Etwas kämpfte sich darin nach oben. Die Geräusche wurden lauter und deutlicher. Verkohlte Zweige knackten, Asche wurde beiseitegetreten, glühende Holzstückchen aus dem Weg geschoben. Und wie eine Pflanze, die sich aus der Erde schiebt, erschien etwas Helles, Glitzerndes und nickte im Wind. Kleine Flammenzungen, so schien es, die nach der Luft leckten … Nein, keine Flammen! Ein Kamm aus goldenen Federn! … Ein Stoß von unten hob die Asche in der Mitte des Haufens, eine feine Wolke aus Flöckchen stob im Luftzug auf, und im Sonnenlicht strahlte helles Gefieder. Und aus den Resten des Scheiterhaufens trat ein prächtiger Vogel.«
Die Bilder der uralten Geschichte berührten sie tief. Sie hatten sie immer berührt, aber diesmal war es anders.
»Es war der Phönix«, hörte sie sich lesen, »es musste der Phönix sein! Doch es war ein neuer, anderer Phönix: Er war jung und wild, mit ungestümen Bernsteinaugen; sein Kamm war stolz und hoch, sein Leib der schlanke, muskulöse Leib eines Jagdvogels, die Flügel schmal und lang und spitz wie bei einem Falken, der große Schnabel und die Krallen krumm und scharf wie ein Rasiermesser. Und im Ganzen, vom Kamm bis zu den Krallen, war er von einem glänzenden Gold, in dem sich die Sonne als tausend blendende Lichtlein spiegelte.
Der Vogel breitete die Schwingen aus, schüttelte die Asche vom Schwanz und begann sich zu putzen. Jede Bewegung war wie der Blitz einer lautlosen Explosion.
›Phönix‹, flüsterte David. ›Phönix.‹«
Honor sah Alistair im Phönix, hörte sich
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