Honor Harrington 18. Auf Biegen und Brechen
erlauben würden, Sie persönlich zu Ihrem Sohn zu führen.«
Honor stand in dem kleinen, in angenehmen Pastellfarben gehaltenen Raum, Andrew LaFollet im Rücken, und blickte auf das friedlich aussehende Schränkchen im Zentrum des Zimmers. Sie hätte einen Knopf daran drücken können, und die Verkleidung des ›Schränkchens‹ wäre zurückgefahren und hätte die künstliche Gebärmutter entblößt, in der ihr Kind konstant reifte, aber sie entschied sich dagegen. Sie hatte alle medizinischen Berichte gelesen und die Bilder gesehen, und eigentlich hätte sie den Fötus gern mit eigenen Augen betrachtet. Sie hatte sich jedoch schon entschieden, dass sie es erst tun würde, wenn Hamish und Emily sie begleiteten. Es war ihr Kind, aber auch das der beiden anderen, und sie wollte sie nicht um den Moment betrügen.
Sie lächelte über ihre mögliche Albernheit, dann durchquerte sie den Raum, setzte sich neben das Gerät und ließ Nimitz von ihrer Schulter auf den Schoß. Der angetriebene Sessel war unglaublich bequem, und sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und lauschte. Die Lautstärke war nicht sehr hoch gestellt, aber sie hörte, was ihr ungeborener Sohn hörte. Den konstanten Ton ihres aufgezeichneten Herzschlags. Musikfetzen – besonders das Werk Salvatore Hammerwells, ihres Lieblingskomponisten – und ihre eigene Stimme, die etwas vorlas. Aus, wie sie mit einem weiteren, ganz anderen Lächeln feststellte, David und der Phönix .
Mehrere Minuten lang saß sie dort, hörte zu, nahm auf, hatte teil. Das war das Kind ihres Leibes, das Kind, das sie nicht austragen konnte, und dieses stille, behagliche Zimmer existierte nur für das, was sie gerade tat: damit sie sich wenigstens zeitweilig in die Gegenwart des mystischen Vorgangs begeben konnte, von dem Umstände, Schicksal und Pflicht sie ausgeschlossen hatten. Und Honor bot der Raum sogar noch mehr als anderen Müttern.
Von hinter den Augen griff sie heraus, lauschte mit mehr als nur den Ohren, und dort, in der Stille ihres Geistes, fand sie ihn. Sie spürte ihn als etwas Helles, Schläfriges, Treibendes. Noch ungeformt, bewegte er sich immer weiter in Richtung Gestaltung. Sein Geistesleuchten tanzte in den Tiefen seines eigenen Geistes und Herzens, strahlte in der Verheißung dessen, was er sein und werden würde, rührte sich zu den Lauten der Stimmen seiner Eltern, sehnte sich aus friedlichen Träumen nach der Zukunft, die ihn erwartete.
In diesem Augenblick wusste sie wenigstens zum Teil, was eine werdende Baumkatzenmutter empfand, und sie wand sich innerlich bei dem Gedanken, das Zimmer je wieder verlassen zu müssen. Sich von diesem neuen, hellen Leben zu trennen, dass so sanft und doch so stark in ihrer Wahrnehmung brannte. Ihre geschlossenen Augen brannten leicht, und sie erinnerte sich an den Vers, den Katherine Mayhew ihr herausgesucht hatte, als sie hörte, dass Honor über Willard Neufsteiler ihr erstes Waisenhaus auf Grayson finanzierte. Es war ein altes Gedicht, älter als die Diaspora, das man auf Grayson sorgsam bewahrt hatte, weil es Gesellschaft und Glaubensvorstellungen des Planeten so perfekt ansprach.
Not flesh of my flesh, or bone of my bone,
But still miraculously my own.
Never forget for a single minute;
You didn't grow under my heart, but in it.
Nicht Fleisch von meinem Fleisch
oder Knochen von meinem Knochen.
Vergiss keinen einzigen Moment
Dass du zwar nicht unter meinem Herzen wuchsest, aber darin.
Natürlich traf es in diesem Fall nicht ganz auf sie zu. Und in gewisser Weise – doch. Denn was immer sonst für dieses Kind galt, es wuchs täglich, wurde stärker, lebendiger, wirklicher – in ihrem Herzen. Und sie hatte Katherine schon gefragt, ihr ein Widmungsexemplar zu schicken, das sie Emily geben konnte.
Sie blinzelte, dann drehte sie den Kopf und sah LaFollet an. Der Colonel blickte sie gerade nicht an. Auch seine Augen ruhten auf dem Gerät in der Mitte des Raumes, und sein unbewachtes Gesicht spiegelte seine Empfindungen wieder. Das war auch sein Kind, begriff Honor. Im Gegensatz zu den meisten männlichen Graysons hatte LaFollet nie geheiratet. Sie wusste, warum das so war, und sie empfand ein plötzliches, frisches Schuldgefühl. Vielleicht lag es zum Teil daran, dass die Gefühle, die aus ihm herausflossen, während er das schmucklose Schränkchen betrachtete, das den ungeborenen Sohn seiner Gutsherrin verbarg, nicht allein nur grimmig beschützerisch
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