Honor Harrington 5. Im Exil
dabei behilflich gewesen zu interpretieren, was sie erfuhr. Während der Gespräche mit ihrem Nachrichtenoffizier hatte sie vieles gelernt, denn er besaß das seltene Talent, seine kulturelle Herkunft hinter sich zu lassen und zu vermeiden, unbewußt die Sitten zu übernehmen, die praktisch jeder Angehörige einer beliebigen Gesellschaft überallhin mitnahm. Er stand der Welt als Gelehrter gegenüber und wollte sie nicht nur sehen, sondern auch verstehen . In gewisser Weise machte ihn seine analytische Haltung beinahe genauso zu einem außenstehenden Beobachter, wie Honor es war.
Genau wie Honor zeigte sich auch Paxton enorm besorgt über die Weigerung des Gutsherrn von Burdette, die Entscheidung der Sakristei bezüglich Edmond Marchants anzuerkennen. Darüber hinaus hatte der Commander andere alarmierende Anzeichen zusammengetragen, die Honor ansonsten wohl entgangen wären. Wie zum Beispiel die Bedeutung der Tatsache, daß die Anzahl der Demonstranten, die von außen zum Gut von Harrington gebracht wurden, trotz ihrer Abwesenheit zugenommen hatte. Die Zahlen hatte sie Colonel Hills Berichten zwar entnommen, aber nie darüber nachgedacht, wieviel Geld diese Anstrengung verschlang. Die »Protestkundgebungen« erwiesen sich als zunehmend besser organisiert, und die Zahlen legten nahe, daß die Hintermänner der Demonstranten immer mehr Geld in das Projekt fließen ließen.
Dieser Umstand war in mehrfacher Hinsicht der alarmierendste, denn er wies darauf hin, daß eine einflußreiche Struktur die Protestierer stützte, eine Organisation, die es unangenehm gut verstand, sich zu tarnen. Bislang war selbst Colonel Hill zu nicht mehr imstande gewesen, als einen oder zwei ihrer Mitglieder zu identifizieren, aber leider schienen beide nur Mittelsmänner zu sein.
Verglichen mit den Auswirkungen der Demonstrationen war die Identität der Drahtzieher jedoch nur von untergeordneter Bedeutung. In Harrington selbst bekamen die Protestler keinen Fuß auf den Boden. Die Demonstranten waren Honors Untertanen zusehends mehr ein Dorn im Auge, aber der Zorn der Harringtoner führte verrückterweise nur dazu, daß die Aufrührer in anderen Gütern um so mehr Aufmerksamkeit erregten. Ständig wurde in den Nachrichten von ihnen berichtet, und in den Augen jener, die einem weiblichen Gutsherrn ohnehin schon mit Bedenken gegenüberstanden, erhielten die Proteste nur mehr Gewicht, weil die Harringtoner Garde und die HCP die Demonstranten permanent gegen Übergriffe der aufgebrachten Siedler schützen mußten.
Die Proteste stellten ein ständiges, zermürbendes Reizmittel dar, dabei erschien es beinahe ausgeschlossen, daß sie jemanden beeindrucken konnten, der nicht ohnehin dazu neigte, sich ihnen anzuschließen. Leider hatte Paxton noch einen weiteren und erheblich beunruhigenderen Faktor aufgezeigt: eine Handvoll Gutsherren, die sehr zurückhaltend die Demonstrationen billigten .
Dieses Element war neu. Die Schlüsselträger hatten sich in würdevolles Schweigen gehüllt, außer Burdette, der von dem Augenblick an, da Marchant angegriffen wurde, mit seiner Meinung nicht hinterm Berg gehalten hatte. Selbst jene, denen es nicht behagte, eine Frau als Gleichgestellte in ihrer Mitte zu wissen, waren anscheinend der Meinung gewesen, daß Agitation gegen einen Gutsherrn eine Beleidigung für alle Gutsherren bedeutete. Offenbar änderte sich das nun. Der Gutsherr von Mueller war der erste gewesen, der angemerkt hatte, daß dieser Disput durchaus zwei Seiten haben könne. Gutsherrin Harrington sei schließlich und endlich auf einer anderen Welt geboren und würde in der Gesellschaft Graysons immer eine Fremde bleiben. Ferner habe sie es abgelehnt, zur Kirche überzutreten; daher sei es nur natürlich, daß die Graysons sich Sorgen darüber machten, wenn so viel Macht in die Hände einer Fremdweltlerin gelegt werde, und es sei verständlich, wenn sie ihrer Besorgnis Ausdruck verliehen.
Diese Erklärung war in sehr mildem Ton abgegeben worden, aber sie hatte dennoch den ersten Bruch des einträchtigen Schweigens aller Schlüsselträger bedeutet. Vier weitere Gutsherren – die Lords Kelly, Michaelson, Surtees und Watson – sangen seither mit Mueller im Kanon. Wie er enthielten sie sich aller Kommentare, die man als Angriff bezeichnen konnte, aber gerade diese Zurückhaltung verlieh ihren Äußerungen den gefährlichen Anschein vernünftiger Argumentation. Auch Menschen, die nicht gleich auf alles Neue mit gedankenloser Feindseligkeit
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