Honor Harrington 5. Im Exil
Ereignisse die alte Ordnung über den Haufen geworfen. Jahrhundertelang war kein Protector mehr so populär gewesen wie Benjamin Mayhew, und das trotz seiner unheiligen »Sozialreformen«. Das Konklave der Siedler hatte den Machtzuwachs des Protectors mit Begeisterung unterstützt. Solange der Rat noch den Protector kontrollierte, war das Unterhaus der Kammer beinahe so bedeutungslos gewesen wie das Staatsoberhaupt. Nun aber, im Bunde mit dem Protector, wurde das Unterhaus zum Zünglein an der Waage. Und obwohl es bislang in seinen Forderungen sowohl respektvoll als auch bescheiden aufgetreten war, hatte das Unterhaus hervorgehoben, daß es in Zukunft so behandelt werden wollte, als sei es dem Konklave der Gutsherren gleichgestellt.
Das Schlimmste daran war, daß man anscheinend überhaupt nichts tun konnte, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Lord Prestwick war noch immer Mayhews Kanzler – war sogar einer von Mayhews Wortführern geworden und vertrat die Meinung, in Kriegszeiten sei eine Stärkung der Exekutive unabdingbar; diese Ansicht barg den unverhohlenen Vorwurf gegen die anderen Gutsherren, sie hätten keine starke Außenpolitik zustande gebracht. Aber bis damals hatte es nie Bedarf für eine Außenpolitik gegeben! beharrte Mueller ärgerlich in Gedanken. Nicht, bis Manticore nach Jelzins Stern kam und seinen verdammten Krieg mitbrachte – und das ist die Schuld Mayhews, die Schlüssel hatten nichts damit zu tun!
Dem Gutsherrn schmerzte der Kopf, und während seine Gedanken sich überstürzten, rieb er sich die geschlossenen Augen. Ein Mann des Glaubens sei er, ermahnte er sich, ein Diener Gottes, der nicht darum gebeten habe, in solch unruhige Zeiten geboren zu werden. Er hatte sich immer redlich bemüht, sein Leben nach dem Willen Gottes auszurichten und sich den Prüfungen zu stellen, die der Herr ihm sandte, aber warum mußte nun ausgerechnet eine solch schwere Prüfung über ihn kommen? Er hatte doch nie etwas anderes gewollt, als Gottes Willen zu genügen und eines Tages, wenn der Herr es für richtig erachtete, das Gut und die Macht an seinen Sohn zu vererben.
Aber das wollte Benjamin Mayhew ihm nicht gestatten, soviel war Mueller klar. Das konnte der Protector gar nicht, denn die von alters her überlieferte Gutsherrnautonomie stand in krassem Gegensatz zu der häßlichen neuen Welt, die Mayhew dem Willen Gottes zum Trotz errichten wollte. Die Reformen stellten nur die Spitze des Eisbergs dar, dessen wirkliche Bedrohung jedem erfahrenen Lotsen klar wäre. Um überhaupt greifen zu können, mußten sie auf allen Ebenen Graysons durchgesetzt werden, und um sie durchzusetzen, benötigte das Schwert weiteren Machtzuwachs. Der Protector würde also immer mehr und immer einschneidender in jedes einzelne Gut eingreifen müssen – was ohne Zweifel stets mit der gebotenen Höflichkeit vonstatten ginge; stets mit einem frommen Verweis auf die Rechtschaffenheit seines Tuns im Namen der »Gleichheit«. Es sei denn, die Macht des Schwertes würde schon bald und eindeutig gebrochen.
Und dann der Havenitische Krieg. Das Bedürfnis des Anführers nach widerspruchslosem Gehorsam in Kriegszeiten. Das wäre noch eine starke Waffe in Mayhews Arsenal, und der einzige Weg, sie ihm zu nehmen, bestand im Bruch mit Manticore. Dazu jedoch mußte man …
Er ließ die Hände auf den Tisch sinken und blickte Burdette an. »Was verlangen Sie von mir, William?« fragte er ohne Umschweife. »Selbst Reverend Hanks unterstützt den Protector, und ob es uns nun paßt oder nicht, unsere Welt liegt im Krieg mit dem mächtigsten Reich in diesem Teil der Galaxis. Wenn es uns nicht gelingt … einfach aufzuhören …« Mit einer Hand machte er eine wegwerfende Gebärde. »Wir dürfen Mayhew keinen Vorwand liefern, uns im Namen der Kriegsanstrengungen zu vernichten.«
»Aber diese Welt gehört Gott.« Burdettes leise Stimme zitterte vor Inbrunst, und seine blauen Augen blitzten auf wie Saphire, von denen das Sonnenlicht zurückfällt. »Was haben wir von gleich welchem Reich zu fürchten, solange der Herr unser Kapitän bleibt?«
Mueller starrte ihn an, wie gebannt vom Glitzern dieser blauen Augen, und dann bemerkte er, daß ihm unbehaglich zumute wurde. Er überlegte, wo er diese Formulierung schon einmal gehört hatte, und erinnerte sich an die fanatischen Makkabäer und ihre masadanischen Herren und Meister, aber aus irgendeinem Grunde kam es ihm gar nicht mehr so wichtig vor. Sein Herz schrie nach der Sicherheit, die nur
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