Honor Harrington 5. Im Exil
zu erkennen gewesen. Und unter der schmerzlichen Last all der unschuldigen Opfer lag das Wissen, wie entschlossen ein anderer Aspekt ihres Seins sich an diese Ehrenzeichen klammerte. Nicht um der Ehrenzeichen selbst willen, sondern in der verzweifelten Hoffnung, wenigstens diese Äußerlichkeiten bewiesen, daß all die Opfer etwas bewirkt hätten. Daß dieses eine, was sie besser konnte als alles andere, doch bitte eine Bedeutung besitzen möge, die über die Vernichtung all der Menschen hinausging, welche auf ihren Befehl hin in den Tod gegangen waren.
Honor holte tief Luft und hielt den Atem an, und dann wußte sie plötzlich – sie dachte es nicht nur, sie wußte es mit Gewißheit –, daß der Tod ihrer Leute etwas bewirkt hatte und niemand ihr vorwarf, daß sie selbst nicht mit ihnen gestorben war. Nimitz’ Fähigkeit, ihr die Emotionen anderer Menschen zu übermitteln, lieferte den Beweis – und von dem ›Schuldkomplex der Überlebenden‹ hatte sie bereits einmal gehört.
Ganz eindeutig war sie nicht für die Situation verantwortlich, in der so viele gestorben waren; sie hatte ihr Bestes gegeben. Es hatte einen Zeitraum nach dem Masadanischen Krieg und der Schlacht von Hancock gegeben, da vermochte sie all das zu akzeptieren. Nicht leichtfertig, nicht glücklich darüber, aber ohne die schrecklichen Träume, in denen sie ihre Leute immer wieder sterben sah und hörte. Damals war sie den gleichen Zweifeln gegenübergetreten, hatte sie niedergekämpft und mit ihrem Leben weitergemacht – aber das vermochte sie nicht mehr, denn in ihr war etwas zerbrochen.
In den dunklen Nachtstunden, wenn Honor Harrington ihrer Seele mit hoffnungsloser Ehrlichkeit gegenübertrat, wußte sie, was dieses Etwas war, und dieses Wissen ließ sie sich klein und verabscheuungswürdig vorkommen, denn der Verlust, mit dem zu leben sie nicht gelernt hatte, war persönlicher Natur. Paul Tankersley war nur ein Mann gewesen; der Umstand, daß sie ihn mehr geliebt hatte als ihr Leben, sollte seinen Tod nicht schlimmer machen als den Tod all der Männer und Frauen, die unter ihrem Kommando gestorben waren. Und doch war es so. Sie waren weniger als ein einziges T-Jahr zusammengewesen, und selbst jetzt, zehn Monate, nachdem sie ihn verloren hatte, erwachte sie noch immer mitten in der Nacht, griff neben sich in die Leere und spürte das fürchterliche Gewicht des Alleinseins überdeutlich.
Und nur dieser Verlust – ihr persönlicher Verlust – war es, der ihr die Selbstsicherheit geraubt hatte. Ihr selbstsüchtiger Schmerz hatte sie geschwächt und ließ nun die anderen Tode um so furchtbarer erscheinen, und dafür verachtete sie sich. Nicht, weil sie unsicher war, sondern weil es unaussprechlich schwach und falsch war, die Trauer um all die anderen nur als Nachhall ihres Schmerzes über Pauls Verlust zu empfinden.
Manchmal, wenn sie sich das Grübeln gestattete, fragte sie sich, was wohl ohne Nimitz aus ihr geworden wäre. Niemand außer ihm ahnte, wie sehr sie sich nach Auslöschung gesehnt hatte, nach einem Ende. Einst hatte Honor kühl und logisch geplant, dieses Ende zu suchen, sobald sie den Mann vernichtet hätte, der Paul auf dem Gewissen hatte. Ihre Karriere in der Navy hatte sie geopfert, um sich an Pavel Young zu rächen, und im Grunde verdächtigte sie sich, daß sie dieses Opfer beabsichtigt hatte – daß der Verlust des Berufes, den sie so sehr liebte, als weiterer Grund für die Beendigung ihrer düsteren Existenz herhalten mußte. Damals war ihr alles nur vernünftig erschienen; nun bedeutete die Erinnerung daran nur eine weitere Facette der Verachtung für ihre eigene Schwäche, ihre Bereitwilligkeit, sich ihrem Schmerz zu ergeben, obwohl sie doch niemals vor irgend jemandem oder irgend etwas kapituliert hatte.
Ein weiches, warmes Gewicht erschien mit einer fließenden Bewegung auf ihrem Schoß. Zierliche Echthände legten sich ihr auf die Schultern, ein kaltes Näschen rieb sich an ihrer rechten Wange, ein federleichter mentaler Kuß strich ihr über die wunde Seele, und sie umschlang den Baumkater mit den Armen. Während sie ihn an sich drückte, klammerte sie sich nicht nur mit den Armen an ihn, sondern auch mit Herz und Verstand. Das leise, tiefe Summen, mit dem er schnurrte, drang ihr bis ins Mark. Seine Liebe und seine Stärke bot er ihr uneingeschränkt dar und bekämpfte gegen den Treibsand ihrer Sorgen mit dem Versprechen, daß sie, ganz gleich was auch geschähe, niemals allein sein müsse, und Nimitz
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