Honor Harrington 5. Im Exil
durfte sie es ihren Gegnern nicht einmal übelnehmen, auch wenn ihr das manchmal sehr schwerfiel. Die Attacken konnten weh tun – sehr weh –, und doch begrüßte etwas in ihr die Ablehnung. Nicht, daß es Honor gefallen hätte, wenn man sie verteufelte, sondern weil ihre verzweifelte Verteidigung des Planeten gegen die masadanischen Fanatiker ihr in den Augen der meisten Graysons ein Format verlieh, das ihr großes Unbehagen bereitete. Die Ehren, mit denen sie überhäuft wurde – einschließlich des Gutsherrentitels –, führten dazu, daß ihr oft peinlich zumute war, so als spielte sie nur eine Rolle in einem Stück. Daß nicht alle Graysons sie wie die Heldin eines HoloDramas behandelten, wirkte manchmal geradezu beruhigend.
Angenehm war es nun wirklich nicht, wenn sie als »die Kammerzofe Satans« bezeichnet wurde, als »Metze«, als »Hexe« oder noch schlimmer, aber die Tiraden der Straßenprediger durchdrangen wenigstens die Ehrerbietung, die ihr von den anderen Graysons erwiesen wurde. Sie erinnerte sich, von einem Brauch gelesen zu haben, der in einem der Imperien von Alterde üblich gewesen war – aber ob es sich um das Römische oder das Französische Imperium handelte, wußte sie nicht mehr genau. Jedenfalls begleitete ein Sklave damals den siegreichen General auf dem Streitwagen, mit dem er im Triumphzug durch die Straßen fuhr. Während die Massen ihn priesen und mit Lob überschütteten, mußte der Sklave den Feldherrn immer und immer wieder daran erinnern, daß auch er nur sterblich sei. Als Honor die Überlieferung las, hatte sie den Brauch als kurios abgehakt, mittlerweile wußte sie die zugrundeliegende Weisheit jedoch zu schätzen. Denn vermutlich war es verführerisch einfach, die endlosen Jubelrufe für bare Münze zu nehmen. Wer wäre schließlich nicht gern eine Heldin gewesen?
Dieser Gedanke traf sie unerwartet an ihrer wunden Stelle; ihre Augen verdüsterten sich, als kalter, vertrauter Schmerz sie durchfuhr. Sie senkte den Blick in den Bierkrug und preßte die Lippen zusammen, kämpfte gegen die Finsternis an, aber das fiel ihr schwer, so schwer. Wie immer kam das Gefühl ohne Warnung, wie immer hatte es im Hinterhalt gelauert, eine Schwäche tief in ihr, von der sie wußte, daß sie sie herabwürdigte, und die Komplexität der Zusammensetzung machte die Angriffe noch schwerer vorherzuahnen. Niemals konnte sie wissen, was den Gefühlsangriff auslösen würde, denn es gab zu viele blutige Narben, zu viele seelische Wunden, die von einem unerwarteten Wort oder Gedanken wieder aufgerissen wurden.
Keiner ihrer graysonitischen Untertanen ahnte etwas von Honors Alpträumen. Niemand außer Nimitz wußte davon, und dafür war sie dankbar. Der ‘Kater kannte ihren Schmerz, das nagende, hoffnungslose Schuldgefühl, das sie in jenen furchtbaren Nächten gefangenhielt – die zum Glück beständig, wenn auch sehr langsam, seltener wurden –, in den Nächten, in denen sie sich daran erinnerte, wie sie zur Heldin Graysons geworden war; und in denen sie sich an die neunhundert Menschen erinnerte, die dabei an Bord der Schiffe ihres Geschwaders gestorben waren. Die Menschen, denen eine echte Heldin irgendwie das Leben gerettet hätte. Dabei waren dies noch lange nicht alle Toten, die auf ihrem Gewissen lasteten. Daß das Kommando über ein Kriegsschiff letztendlich bedeutete, über Leben und Tod von Menschen zu entscheiden, hatte sie immer gewußt. Aber nur in dämlichen, von Idioten verfaßten Geschichten triumphierte das Gute, ohne Schaden zu nehmen, und starben nur die Bösen. Auch das hatte sie gewußt, aber warum mußten es ausgerechnet immer ihre Leute sein, die den Preis für den Sieg des Guten zahlten?
Sie schloß die Hand fester um den Bierkrug, und die Gleichgültigkeit des Universums trieb ihr die Tränen in die Augen. Dem Tod hatte sie schon früher gegenübertreten müssen, aber diesmal war alles anders. Diesmal zerrte der Schmerz an ihr wie eine sphinxianische Flutbrandung, denn diesmal hatte Honor ihre Gewißheit verloren. »Pflicht«. »Ehre«. Wichtige Begriffe, aber der verbitterte, gepeinigte Teil ihrer Selbst wollte wissen, weshalb sie ihr Leben ausgerechnet solch undankbaren Konzepten verschrieben habe. Früher einmal waren ihr diese Ideale so klar, so leicht definierbar erschienen, aber nach jedem Tod, den sie miterlebt hatte, mit jedem Orden und jedem Titel, den sie erhielt, während die Kosten für die anderen größer und größer wurden, waren die Konzepte undeutlicher
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