Honor Harrington 5. Im Exil
Trinkwasser destilliert werden mußte. Harrington City war ganz anders. Zum ersten Mal in der Geschichte des Planeten konnten graysonitische Architekten eine Stadt als belebte, atmende Einheit entwerfen – eine Gemeinschaft, deren Menschen auf echten Straßen gehen konnten, ohne für den Notfall Atemmasken bei sich zu tragen. Die gleiche Technik sollte schon bald auf die Landwirtschaft ausgeweitet werden.
Die Nahrungsmittelversorgung hatte auf Grayson stets den wichtigsten begrenzenden Faktor für das Bevölkerungswachstum dargestellt. Nicht einmal Einheimische überlebten den Verzehr von Pflanzen, die in ungereinigter Krume gewachsen waren. Ackerland dekontaminiert zu halten, war eine Sisyphusarbeit, und daher wurden mehr als zwei Drittel der Nahrungsmittel in der Umlaufbahn produziert. Auf das Volumen gerechnet, waren die Orbitalfarmen erheblich produktiver als jede Bodenwirtschaft, doch ihr Bau war – besonders mit der Technologie, die noch vor dem Anschluß an die Allianz zur Verfügung gestanden hatte – sündhaft teuer. Früher hatte allein die Ernährung der Bevölkerung mehr als siebzig Prozent des Bruttosystemprodukts verschlungen, aber das würde sich nun ändern. Die Prognosen von Sky Domes versprachen, daß sich Nahrungsmittel in überkuppelten Farmen anbauen ließen – im Grunde also in nichts anderem als gewaltigen, sich selbst versorgenden Treibhäusern –; die laufenden Kosten würden zwei Drittel von denen der Orbitalfarmen betragen, die Investitionen hingegen waren im Vergleich verschwindend gering.
Die Kuppeltechnologie würde außergewöhnliche Wirkung auf die Wirtschaft und die Bevölkerung haben. Sky Domes wollte nicht einfach nur die Städte Graysons verschönern – das Unternehmen würde die Faktoren ausschalten, die Grayson während seiner gesamten Geschichte zu drakonischen Maßnahmen der Bevölkerungskontrolle gezwungen hatte. Nur der Einfluß der manticoranischen Technologie und Honors finanzielle Rückendeckung hatte all das möglich gemacht.
Ein tiefes, unkompliziertes Triumphgefühl erfüllte Honor bei dem Gedanken, und sie lächelte zur Kuppel auf. Dann bog der Wagen um die letzte Ecke, und Honors Lächeln verschwand. Das Yountz-Center, das Herz des Yanakov-Parks, war von Demonstranten umringt, die an Geier mit steinernen Gesichtern erinnerten. Diese Leute ignorierten die Spottrufe und Sticheleien, die ihnen von einer kleinen Gruppe einheimischer Harrringtoner zugeworfen wurden. Mit reglosen Gesichtern schützte ein Kordon aus Angehörigen der Gutsgarde, die Protestierenden vor allem, was über Hohnrufe hinausging. Honor spürte, wie neben ihr in LaFollet die Wut aufstieg. Dem Major war der Umstand verhaßt, daß die Garde Leute zu schützen hatte, die seine Gutsherrin verabscheuten. Honor gelang es, einen gelassenen Ausdruck zu bewahren. Die Anwesenheit der Demonstranten überraschte sie nicht besonders. In letzter Zeit war die Heftigkeit, mit der ihre Gegner ins Horn stießen, ein wenig geschwunden, aber sie hatte damit gerechnet, daß sie sich heute hier zeigen würden.
Seufzend sagte sie sich, daß sie dankbar sein sollte, die Zahl der Demonstrationen hatte schließlich nachgelassen. Die Posten, die Harrington House anfangs täglich belagerten, hatten in der vergangenen Woche ihre Tätigkeit ganz aufgegeben. Der Grund, aus dem sie das Feld geräumt hatten, erzeugte in Honor ein Entzücken, in das sich ein gerüttelt Maß Schuldgefühl mischte. Die erste Gegendemonstration war spontan von einer Hundertschaft Sky-Domes-Bauarbeiter veranstaltet worden. Die Leute hatten es offenbar schon bei ihrem Eintreffen auf Ärger abgesehen, und nachdem die beiden Posten einander gegenseitig sehr lebhaft die persönlichen Ansichten an den Kopf geworfen hatten, folgte ein noch lebhafterer Austausch von Wurfgeschossen und Schlägen; am Ende hatten die Bauarbeiter ihre Gegner mit anscheinend sehr grimmigen Absichten über die Courvosier Avenue gehetzt. Am nächsten Tag war das gleiche geschehen, nur hatten sich diesmal etliche Dutzend Harringtoner beteiligt, die nicht bei Sky Domes beschäftigt waren; am darauffolgenden Tag wiederholte sich die Gegendemonstration. Ab dem vierten Tag waren vor den Toren von Harrington House keine feindseligen Transparente mehr zu erblicken gewesen.
Honor war überaus erleichtert gewesen – sowohl über die Abwesenheit der Schmähplakate als auch über die gewissenhafte Unparteilichkeit der Harrington City Police. Zwar verdächtigte sie die HCP, am ersten
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