Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
Reichweite ihrer Energiewaffen zu begeben.
Ihr eigener Tod stand fest. Aber wenn sie im Sterben den Gegner so schwer beschädigte, daß er die Artemis selbst dann nicht mehr aufbringen konnte, wenn er sie denn entdeckte, dann wäre das Resultat das Opfer wert. Für sich konnte sie dieses Schicksal akzeptieren – aber hinter ihrem unbewegten Gesicht blutete ihr das Herz bei dem Gedanken an all die anderen, die sie mit sich in den Tod nahm. Personen wie Nimitz und Samantha, wie Rafe Cardones, Ginger Lewis und James MacGuiness, der sich rundheraus geweigert hatte, das Schiff zu verlassen. Aubrey Wanderman, Carol Wolcott, Horace Harkness, Lewis Hallowell … so viele, die Honor als Individuen kennen und schätzen gelernt hatte, viele davon als Freunde, und sie alle sollten an ihrer Seite sterben. Sie konnte sie ebensowenig retten wie sich selbst, und das Schuldgefühl drückte sie nieder. Alle würden sie sterben, weil Honor es ihnen befahl – weil Honor die Pflicht hatte, sie mit sich in den Tod zu nehmen, und weil es wiederum ihre Pflicht war, Honors Befehlen Folge zu leisten. Aber im Gegensatz zu ihren Untergebenen würde Honor in dem Bewußtsein sterben, daß ihre Befehle all diesen Menschen den Tod gebracht hatten.
Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Honor hatte achthundert Menschen von Bord der Artemis bringen können, und so würden knapp über tausend Männer und Frauen – plus zwei Baumkatzen – sterben, um viertausend anderen das Leben zu retten. Nach allen Maßstäben ein guter Tausch, aber wie sehr es sie schmerzte!
Honor verbarg ihre Pein hinter Augen, die ihre Regungen nicht preisgeben wollten, und spürte ringsum die Brückencrew, die sich, wie sie wußte, ganz auf sie verlassen würde – auf ihre Führung. Die Leute ließen sich von Honor inspirieren und bezogen Entschlossenheit aus ihrem Beispiel. Tief in Honor rang der Stolz auf die Besatzung mit der Trauer über das Schicksal, das sie den Leuten zuwies.
Margaret Fuchien, Harold Sukowski und Stacey Hauptmann standen an Annabelle Wards Plot und blickten beklommen hinein. Vor zwölf Minuten war der Schlachtkreuzer an ihnen vorbeigerast, ohne den Liner und die schützenden LACs zu bemerken. Warum hätte er die Raumfahrzeuge auch orten sollen? Sie waren nur sieben untätige Stücke aus Stahl, strahlten keine Energie ab und verloren sich in der Weite des Hyperraums, während die Wayfarer den Gegner absichtlich hinter sich her lockte.
»Fünfundsiebzig Minuten«, murmelte Ward.
»Werden sie noch in Sensorenreichweite sein, Captain Harry?« fragte Stacey leise.
»Wir dürften ihre Impeller noch auffassen, aber nicht sehr deutlich.« Sukowski schloß kurz die Augen und schüttelte den Kopf. »In gewisser Weise bin ich froh darum. Ich möchte es gar nicht beobachten. Es wird …« Er blickte Stacey direkt in die Augen. »Das wird ein häßliches Gefecht, Stace. Die Wayfarer ist schwer beschädigt, und wenn die Mistkerle Abstand halten und sie im Ferngefecht zermürben …« Er schüttelte wieder den Kopf.
»Wird sie sich ergeben?« brach Fuchien die Stille, worauf Sukowski sie ernst ansah. Sie fragte: »Wenn die Havies das Feuer eröffnen, wird sie den Keil streichen?«
»Nein«, antwortete Sukowski.
»Warum nicht?« wollte Stacey mit plötzlich scharfer Stimme wissen. »Warum denn nicht? Sie hat uns doch schon gerettet! – Warum wird sie sich nicht ergeben und ihre Leute retten?«
»Weil sie uns immer noch beschützt«, erklärte ihr Sukowski so bedächtig er vermochte. »Wenn die Havies sich der Wayfarer auf Raketenreichweite genähert haben, werden sie die Drohne als Drohne erkennen. Dann wird offensichtlich, daß wir verschwunden sind, aber es dauert nur ein, zwo Stunden, dann erfahren die Havies, wann wir unseren Antrieb abgestellt haben. Also werden sie dann recht genau wissen, wo wir sein könnten, und dann werden sie nach uns suchen müssen. Eine allzu große Chance, uns zu finden, haben sie zwar nicht, aber Lady Harrington beabsichtigt sicherzustellen, daß sie uns nicht aufspüren. Die Wayfarer wird den Schlachtkreuzer beschießen, solange auch nur eine Bordwaffe noch feuert, Stace, um dessen Ortungsgeräte lahmzulegen und ihn aufzuhalten.« Er bemerkte die Tränen, die Stacey in den Augen standen, und legte einen Arm um sie wie schon bei Chris Hurlman. »Das ist ihre Aufgabe, Stacey«, sagte er leise. »Dafür ist sie in der Navy. Und diese Frau kennt ihre Pflicht. Das kannst du mir glauben, ich bin lange genug an Bord ihres
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