Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
interessanten Punkt. Honor überlegte, daß die Wayfarer und ihre Schwesterschiffe sich im Breslau-Sektor durchaus wirkungsvoller erweisen könnten als die Admiralität anzunehmen bereit war. Vor einiger Zeit hatte sie als Kommandantin des Schweren Kreuzers Fearless einen zweijährigen Piratenjagd-Einsatz in Silesia hinter sich gebracht und kannte die Gegend wenigstens so gut wie die meisten manticoranischen Offiziere. Einem Piraten, der der Wayfarer hätte standhalten können, war sie während dieses Einsatzes nicht begegnet. Einige der »Freibeuterschiffe«, die der Konföderation zu schaffen machten, mochten von einem anderen Kaliber sein; manche, so hieß es, hätten die Kampfkraft eines Schlachtkreuzers, waren aber selten, weit verstreut und mieden manticoranische Schiffe in der Regel wie der Teufel das Weihwasser. Seit der größte Teil der Flotte zur havenitischen Front verlegt worden war, hatte sich das vielleicht geändert, aber die Freibeuter mußten Rücksicht auf die »Befreiungsregierungen« nehmen, in deren Auftrag sie nominell handelten. Kein separatistisches Sonnensystem würde den Zorn des Sternenkönigreichs auf sich lenken wollen, und wenigstens ein »Kaperfahrer« war von seiner eigenen Regierung festgenommen und mitsamt Crew der manticoranischen Gerichtsbarkeit übergeben worden, nachdem jene Regierung über die Konsequenzen in Kenntnis gesetzt worden war, falls sie die Auslieferung der verbrecherischen Mannschaft verweigerte.
Nein, überlegte Honor, mit einer brauchbaren Besatzung brauchte sie sich keine übermäßigen Sorgen zu machen, ob sie es mit einem Piraten oder Freibeuter aufnehmen konnte, und sie stellte fest, daß sie dem neuen Auftrag allmählich mit einer gewissen Vorfreude entgegensah.
6
Der Admiral der Grünen Flagge Sir Luden Cortez, Fünfter Raumlord der manticoranischen Navy, erhob sich hinter dem Schreibtisch, als sein Schreibersmaat Honor Harrington zu ihm ins Büro führte.
Die letzten drei Tage waren für Honor wie in Windeseile vergangen. Immerhin hatte sie ein paar Stunden erübrigen können, um ihre Eltern zu besuchen, aber jeden weiteren verfügbaren Augenblick hatte sie damit verbracht, in den Eingeweiden ihres neuen Schiffes umherzukriechen und mit den Experten die Modifikationen von Vulcan zu besprechen. Für größere Planänderungen war es bei weitem zu spät, aber immerhin hatte sie zwei Verbesserungsvorschläge anbringen können, die sich noch in die Tat umsetzen ließen. Eine davon bestand in einem zusätzlichen Lift, der die beiden LAC-Hangars untereinander verband. Unter normalen Bedingungen konnte sich Wartungspersonal dadurch viel schneller zwischen den Hangars bewegen, und die Zeit, die die LAC-Besatzungen brauchten, um im Alarmfall in ihre Schiffe zu kommen, wurde um fünfundzwanzig Prozent gesenkt. Von ihren beiden Vorschlägen bedeutete dieser den tieferen Eingriff und höheren Arbeitsaufwand, und BuShips hatte sich sechsunddreißig Stunden lang geziert und gewunden, bevor man ihn genehmigte.
Ihr anderer Vorschlag war einfach und überaus raffiniert zugleich. Als sie im Basilisk-System das havenitische Q-Schiff Sirius verfolgte, erhielt sie die erste Warnung vor der Bewaffnung ihres Gegners dadurch, daß die Haveniten falsche Rumpfplatten absprengten, die zur Tarnung ihrer Waffenschächte gedient hatten. Der Radar hatte die davontreibenden Trümmer erfaßt. Zum Teil aufgrund Honors Einsatzberichtes hatte Vulcan die Trojaner mit motorisieren Lukendeckeln statt falschen Rumpfplatten versehen und sich große Mühe gegeben, diese Abdeckungen aussehen zu lassen wie gewöhnliche Frachttore. Zwar war diese Idee lobenswert gewesen, aber als man sich um die Startschächte für die LACs kümmerte, wurde deutlich, daß es an den Flanken der Wayfarer viel zu viele »Frachtluken« gab, um jemanden zu täuschen, der ein brauchbares Videobild von ihr erhielt. Deshalb hatte Honor vorgeschlagen, die Luken unsichtbar zu machen, indem man sie mit Plastikblenden verkleidete, die so geformt und angestrichen waren, daß sie sich nicht von den umgebenden Rumpfplatten abhoben. Auf dem Radar wären diese Blenden nicht zu erkennen, stellte Honor klar, und konnten daher im Gefechtsfall abgesprengt werden, ohne daß man Gefahr lief, sich durch verdächtige Echos auf dem feindlichen Radar zu verraten; zudem waren sie billig, ließen sich binnen weniger Tage herstellen und auch zu Hunderten an Bord der Trojaner produzieren, so daß man sie nach jedem Gefecht ersetzen
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