Honor Harrington 7. In Feindes Hand
McKeons Schiff marschierte fast neun Lichtminuten vor der Alvarez . In ihrem Innersten mißfiel Honor noch immer die Notwendigkeit, diese exponierte Position jemand anderem aufbürden zu müssen; erst allmählich fand sie sich damit ab. Dabei war dieses Mißfallen unsinnig. Ihre Aufgabe bestand in der Leitung des Geschwaders, und Alistair mußte die vorgeschobene Position an der Spitze übernehmen. Damit hatte es sich.
Sie machte es sich im Sitz gemütlich, strich Nimitz mit einer Hand über die Ohren, was der Baumkater mit zufriedenem Schnurren quittierte, und beobachtete das geisterhafte, wunderschöne Farbflackern der Hyperraumtiefen hinter dem dicken Armoplast des Fensters.
»Also, was hältst du von den Ideen meiner Jungs und Mädels?« fragte Honor, als der Lift sie zum Kommandantensalon ins Oberschiff fuhr. Sie hatte spöttisch die Augenbrauen hochgezogen. Der Schiffstyp der Prince Adrian war über sechzig Jahre alt, und deshalb war es in ihren Liftkabinen enger als in denen modernerer Schiffe; Honors Stabsangehörige und McKeons I.O. hatten mit stillem Taktgefühl beschlossen, die Vorgesetzten in der ersten Kabine allein zu lassen; allein, wenn man von Honors Waffenträgern absah – ›alleiner‹ würde sie vermutlich nie wieder sein.
»Eindrucksvoll. Doch, sehr eindrucksvoll«, antwortete McKeon. »Mit seinen Eloka-Vorschlägen hat Scotty besonders gute Arbeit geleistet, und deine McGinley hat sich mit ihrer Integration seiner Täuschungen und der größeren Reichweite unserer neuen passiven Systeme selbst übertroffen. Natürlich«, fügte er betont beiläufig hinzu, »können wir das neue Konzept erst dann mit voller Wirkung einsetzen, wenn uns ein paar von den neuen Raketengondeln in die Hände fallen.«
»Neue Gondeln?« Honor bemühte sich, ein ausdrucksloses Gesicht zu machen. Ihre Stimme klang kühl. »Was für neue Gondeln meinst du?«
»Die schwer zu ortenden, streng geheimen Gondeln, deren Pläne mit ›Vor dem Lesen vernichten‹ bestempelt sind – die Gondeln für die neuen Raketen mit dem mehrstufigen Antrieb und der großen Reichweite«, erklärte McKeon geduldig. »Du weißt schon – die, für die du die endgültige Spezifikation geschrieben hast, als du beim WDB warst. Die Gondeln meine ich.«
»Ach so«, antwortete Honor ausdruckslos. »Die Gondeln meinst du. Und woher, Captain McKeon, weißt du denn, daß diese Gondeln überhaupt existieren, geschweige denn, wer die Spezifikation geschrieben hat?«
»Ich bin Captain of the List«, erwiderte McKeon. »Als ich noch ein kleiner Commander war, noch vor dem Krieg, wurde ich zufällig eingeteilt, die Tauglichkeit der damals brandneuen Überlicht-Drohnen für leichte Einheiten im Feld zu testen. Erprobungsmissionen, das waren meine ersten großen Einsätze zusammen mit der Madrigal , weißt du noch? Deshalb habe ich immer noch einen guten Draht zu BuWeaps und BuShips. Wenn Admiral Adcock Resonanz von den Anwendern möchte, stehe ich auf der Liste der Auserwählten.«
»Liste der Auserwählten?« fragte Honor. »Ich habe nicht gewußt, daß er eine hat.«
»Offiziell natürlich nicht. Aber der Admiral hat sich schon immer gesträubt, den Schreibtischhusaren allzu freie Hand zu lassen. Er läßt ihre Ideen gerne von Praktikern durchsehen, mit denen er zusammengearbeitet hat und deren Urteil er vertraut. Niemand bekommt auch nur ein Fitzelchen eines Projekts zu sehen, ohne die nötige Sicherheitseinstufung zu besitzen, aber wir stehen außerhalb des Dienstwegs. Und weil niemand beim WDB jemals unsere Berichte zu Augen bekommt, können wir unumwunden unsere Meinung sagen, ohne irgendwelche Repressalien fürchten zu müssen.«
»Ich verstehe.«
Honor blickte McKeon nachdenklich an. Vizeadmiral der Grünen Flagge Jonas Adcock, Chef des Bureaus für Waffensysteme, zählte zu den Originalen unter den RMN-Offizieren. Außerdem gehörte er zu den wenigen ranghohen Offizieren, die keine Prolong-Behandlung erhalten hatten, denn er und seine Familie waren von Maslow ins Sternenkönigreich Manticore eingewandert, einer technisch ähnlich rückständigen Welt wie Grayson vor dem Beitritt zur Allianz. Bei seiner Ankunft war Adcock schon zu alt für die Lebensverlängerung gewesen, aber an Verstand mangelte es ihm nicht. Er schloß die Saganami-Akademie als achter seiner Klasse ab, obwohl er erst im Alter von neunzehn T-Jahren mit einem modernen Bildungssystem in Berührung gekommen war. Seine Laufbahn konnte man nur als herausragend bezeichnen.
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