Honor Harrington 7. In Feindes Hand
war sie mit ihrer Verzweiflung allein.
Als die Traktorstrahler des Beiboothangars die erste Pinasse auf dem Pralldämpfer des Andockgerüsts absetzten, unterbrach Bürger Konteradmiral Tourville das Gespräch mit seinem Flaggkommandanten, Bürger Captain Hewitt, und drehte sich um. Die mechanischen Dockarme verankerten das Beiboot, die Zugangsröhre und die Nabelschnüre wurden ausgefahren und verbanden die Pinasse mit dem Schlachtkreuzer. Tourville holte tief Luft.
Er hatte sein Bestes gegeben, um Honeker auf seine Seite zu ziehen, und wenn er ehrlich war, mußte er sich loben, denn er hatte sich besser geschlagen als gehofft. Sie hatten sich in einer Ecke der Turnhalle von VFS Count Tilly getroffen, wo ihnen der Hintergrundlärm eines Basketballspiels Schutz vor Lauschern bot. Keiner von ihnen erwähnte mit auch nur einer Bemerkung, weshalb der Kampfgruppenchef ausgerechnet diesen schwierig abzuhörenden Treffpunkt ausgesucht hatte, doch allein durch sein Schweigen gab Honeker bereits zu verstehen, daß er sich über die Zusammenhänge und Tourvilles Gründe bestens im klaren war.
Und ganz wie der Bürger Konteradmiral gehofft hatte, hatte Honeker ein offenes Ohr für ihn. Tourville erhielt sogar den Eindruck, daß sich Honeker über die Ehre und moralische Verantwortung der Flotte fast so sehr sorgte wie über die ›praktischeren‹ Aspekte der Behandlung von Kriegsgefangenen. Dennoch gab es natürlich Grenzen, die der Volkskommissar niemals überschreiten würde. Alles in allem willigte Honeker ein – ohne dies je deutlich auszusprechen –, sich Tourvilles Wünschen zu fügen, was die Behandlung von Harrington und ihren Leuten betraf. Die Angelegenheit sei, wie er sagte, ›ohne Einschränkung Sache des Militärs‹. Mit dieser Phrase wälzten viele Volkskommissare schwierige Entscheidungen auf die Volksflotte ab, ohne damit das Recht aufzugeben, die Flotte für alle widrigen Folgen dieser Entscheidungen verantwortlich zu machen. Diesmal jedoch hörte Tourville die Formulierung gern, denn sie räumte ihm das Recht ein, nach eigenem Ermessen zu handeln.
Doch einen Preis hatte diese Freiheit durchaus: Indem Honeker ›dem Militär‹ gestattete, die Verantwortung zu übernehmen, schloß er sich automatisch von Tourvilles Entscheidungsfindung aus, und war deswegen verdächtigerweise nicht anwesend, als die gefangenen Alliierten an Bord der Count Tilly kamen. Wenn er sich in Tourvilles Entscheidungen nicht einmischen wollte, mußte er sich gleichzeitig von ihnen distanzieren. Infolgedessen konnte er Tourville im weiteren Verlauf der Angelegenheit nur sehr eingeschränkt den Rücken vor übergeordneten Stellen stärken – falls er das überhaupt beabsichtigte.
Die Innenluke der Zugangsröhre öffnete sich, und Tourville verschränkte die Arme hinter dem Rücken und wartete ab. Keine zwanzig Sekunden vergingen, und die erste Person – eine athletische, hochgewachsene Frau – schwamm durch die Röhre heran. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gefangenen trug sie Uniform und keinen Raumanzug. Sie bewegte sich bezaubernd anmutig – obwohl sie sich mit einem Arm ein gut sechzig Zentimeter langes Wesen an die Brust drückte, das in einem Raumanzug steckte. Mit der freien Hand packte sie die Haltestange am Bordende der Röhre, schwang sich durch die Grenzschicht in das interne Schwerefeld der Count Tilly und trat vor, um dem nächsten Kriegsgefangenen Platz zu machen.
Hochgewachsen wie sie war, stellte sie sich mit gestrafften Schultern und erhobenem Kinn vor die Grenzlinie. Das scharfgeschnittene, dreieckige Gesicht zeigte beinah unmenschlich anmutende Ruhe. Doch vor der düsteren Qual in den mandelförmigen Augen wäre Tourville fast zurückgezuckt. Ihr Blick schweifte über die Offiziere und die wachestehenden Marines auf der Hangargalerie, glitt über Tourville und blieb schließlich auf Bürger Captain Hewitt haften. Ihm wandte die Frau sich zu und salutierte.
»Commodore Harrington, Royal Manticoran Navy«, sagte sie. Ihre leise Sopranstimme klang angenehm – und entbehrte ebenso wie ihr Gesicht jeder Regung.
»Bürger Captain Alfred Hewitt, VFS Count Tilly «, erwiderte der Flaggkommandant. Er unterließ es, eine dumme Phrase hinzuzufügen, mit der er sie an Bord willkommen hieß, und streckte einfach die Rechte aus.
Honor blickte auf die angebotene Hand und ergriff sie schließlich. Hewitt besaß einen festeren Händedruck als sie erwartet hatte, in seinem Gesicht erkannte sie sowohl Genugtuung
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