Honor Harrington 7. In Feindes Hand
bewußt war. Sie beschloß, der Satz sei für ihre Ohren bestimmt gewesen.
»Selbstverständlich hätten Sie es versuchen können«, fuhr sie ihn so scharf an, daß er überrascht aufblickte. »Versuchen kann man es immer, Captain, aber ein Raumoffizier erkennt gelegentlich rechtzeitig, wann er das lieber bleiben läßt: Nämlich dann, wenn ein Hilfeversuch lediglich den einfachsten Weg darstellt, den eigenen Ruf oder das eigene Gewissen zu schützen, die Kosten aber in Pflichtvergessenheit bestehen würden. Ganz gewiß werden sehr viele Idioten, die nicht dort gewesen sind, Ihnen vorwerfen, Sie hätten ungeachtet Ihrer Befehle systemeinwärts vorstürmen und versuchen müssen, Lady Harrington zu retten. Wenn Sie das versucht hätten, dann hätten Sie sich bestimmt alle Vorwürfe erspart. Aber Sie und ich, wir wissen doch beide – und wenn es uns noch so sehr widerstrebt, es zuzugeben: Das wäre eine Fehlentscheidung gewesen! «
Mit grimmigem Gesicht schaute sie ihm in die Augen.
»Selbst wenn Lady Harrington Ihnen nicht ausdrücklich befohlen hätte, unverzüglich wieder in den Hyperraum zu gehen, wären Sie niemals auf Unterstützungsreichweite an die Prince Adrian herangekommen. Sie war zu weit von Ihnen entfernt, um sie zu erreichen können, bevor sie die Hypergrenze überquerte. Entweder wäre die Adrian auf eigene Faust entkommen oder vorher in ein Gefecht verwickelt worden. In beiden Fällen hätten Sie Lady Harringtons Schicksal nicht beeinflussen können. Bei dem Versuch hätten Sie vielmehr riskiert, daß Ihnen das gleiche zustößt wie ihr – nämlich daß jemand Sie abfängt, der emissionsstill auf Ihrem Vektor lauert. Ihre Pflicht als Flaggkommandant des Geschwaders, bekräftigt durch den direkten Befehl Lady Harringtons, bestand darin, den Konvoi unter Ihrem Geleitschutz in den Hyperraum zu bringen. Wir werden es oft genug erleben, daß jemand Ihre Entscheidung hinterfragt, Captain. Aber wir sind beide erwachsene Menschen. Wir wissen, was geschehen wird, und wir wissen auch, daß einige dieser Leute unfair sein werden, sogar grausam. Fangen Sie nicht an, sich selbst so zu behandeln!«
»Aber was soll ich auf Grayson sagen?« fragte Greentree voller Elend. »Ich habe die Gutsherrin verloren, Admiral!«
»Verloren haben Sie überhaupt niemanden, Captain!« widersprach Sorbanne ihm fast heftig. »Lady Harrington hat ihre Pflicht getan – und Sie auch! Sie hat sich entschieden, die Uniform zu tragen, und damit die Gefahren in Kauf genommen, die in Kriegszeiten einem Geschwader drohen. Und sie hat der Prince Adrian befohlen, den Feind auf sich zu ziehen und vom Konvoi fortzulocken.«
»Das weiß ich«, antwortete Greentree nach kurzem Zögern. »Im Grunde weiß ich, daß Sie recht haben, und ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit und Ihre ermutigenden Worte. Eines Tages wird mir das, was Sie mir heute gesagt haben, gewiß eine Menge bedeuten. Aber im Augenblick – in dieser Sekunde, Dame Madeleine – kann ich nur an die vielen Menschen auf Grayson denken. Nicht etwa, weil man mir vorwerfen wird, ich hätte Lady Harrington verloren, sondern weil sie Lady Harrington verloren haben. Weil wir alle sie verloren haben. Mir kommt das immer noch so … so unmöglich vor.«
»Das verstehe ich gut«, seufzte Sorbanne. Sie lehnte sich zurück, fuhr sich mit den Fingern durch das kurzgeschnittene Haar und brachte ein mattes Lächeln zustande. »Bei den wirklich Herausragenden will es uns immer so vorkommen, nicht wahr? Sie scheinen anders zu sein als wir, unbesiegbar und mithin unsterblich. Ihr Zauber wird sie beschützen, denken wir, und sie uns zurückbringen, weil es anders nicht sein kann. Weil sie uns viel zu wichtig sind, als daß wir sie verlieren könnten. Aber in Wirklichkeit ist niemand unbesiegbar – oder unsterblich. Und wenn unsere Heroen untergehen, dann müssen wir Übrigen in ihre Fußstapfen treten.«
»Ich glaube nicht, daß wir diesmal in die ›Fußstapfen‹ passen«, entgegnete Greentree nüchtern. »Wir geben unser Bestes, Admiral, und vielleicht überleben wir.« Er erwiderte ihr mattes Lächeln. »Wir sind Graysons, und wenn sich Graysons mit etwas auskennen, dann mit dem Überleben. Aber jemanden zu finden, der in Lady Harringtons Fußstapfen tritt? Jemanden, der sie ersetzen könnte?« Er schüttelte den Kopf. »Weil wir sie verloren haben, ist unser Planet ärmer geworden, Dame Madeleine. Jeder auf Grayson, der Lady Harrington gekannt hat, wird sich stets fragen, wozu wir
Weitere Kostenlose Bücher