Honor Harrington 7. In Feindes Hand
Erfolg in Silesia nur auf diese neuartige Anordnung zurückzuführen gewesen war. Am schwersten wog jedoch, daß er sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, die Werte der neuen Raketenantriebe nachzulesen oder gar darüber nachzudenken, was man damit wohl beabsichtige. Und er mußte mit noch tieferem Verdruß erkennen, daß all das nur von seiner instinktiven, emotionsbeladenen Ablehnung jedes Projekts herrührte, bei dem Sonja Hemphill die Finger im Spiel hatte. Folglich hatte er das genaue Gegenstück einer Reflexreaktion zur Schau gestellt, für die er die Jeune école so gern herunterputzte, wenn es um technische Neuerungen ging.
Und Honor Harrington hatte ihn damit bloßgestellt.
White Haven blinzelte und lehnte sich zurück. Er bemerkte, daß auch ihre Wangen rot angelaufen waren; in ihren Augen stand die Kampfeslust, denn sie weigerte sich, den Mund zu halten, nur weil sie anderer Meinung war als der erfolgreichste Flottenkommandeur, den die RMN in den letzten beiden Jahrhunderten hervorgebracht hatte. Und noch etwas anderes fiel ihm bei dieser Betrachtung auf.
Hamish Alexander war sich Honor Harringtons körperlicher Attraktivität immer bewußt gewesen. Niemand hätte wohl ihr dreieckiges, scharfgeschnittenes Gesicht als klassisch schön bezeichnet – ein Gesicht, das von einer starken Nase dominiert wurde und von großen, mandelförmigen Augen, einem Erbe ihrer Mutter. Dazu waren ihre Züge zu stark ausgeprägt und wirkten viel zu herb. Doch die Persönlichkeit dahinter – die Intelligenz, der Charakter, die Willenskraft – verlieh dem Gesicht genug Leben und Energie, um seine Schroffheit vergessen zu machen. Oder vielleicht ist sie doch schön , dachte White Haven plötzlich, so wie ein Adler oder Falke schön ist. Harrington war von einer bedrohlichen Vitalität erfüllt, und jeder, der dieser Frau gegenüberstand, spürte, wie gefährlich es war, sie zu unterschätzen. Die geschmeidige Anmut ihrer Bewegungen verstärkte diesen Eindruck; samt und sonders Aspekte, die White Haven schon bei ihrer ersten Begegnung bemerkt hatte.
Tatsächlich aber war Attraktivität nur eine Facette dieses herausragenden weiblichen Offiziers, der unversehens sein Protege geworden war. Obwohl White Haven immer gewußt hatte, daß sich Harringtons Befähigung in ein faszinierendes Äußeres hüllte, beruhte dieses Wissen lediglich auf rationaler Beobachtung. Er hatte in ihr nie etwas anderes als einen Raumoffizier gesehen. Außerdem fühlte er sich normalerweise zu eher gleichaltrigen Frauen hingezogen, die kleiner waren als er – und die im unbewaffneten Kampf nicht so versiert waren, um bei Bedarf eine Brezel aus ihm flechten zu können. Möglicherweise hatte er sogar unbewußt geahnt, daß es für beide Teile erheblich besser wäre, wenn er niemals ›bemerkte‹, wie attraktiv Honor Harrington eventuell auf ihn wirken konnte.
Was auch immer der Grund oder die Gründe waren: mit einemmal waren sie irrelevant geworden. Von nun an könnte White Haven sie nie wieder nur als Offizierskameradin oder gar Oberhaupt einer Regierung betrachten. Merkwürdig … es wollte ihm vorkommen, als hätte gerade die Art, in der sie ihm den Kopf zurechtgerückt hatte, in dazu bewegt, sein Gegenüber einer Neubewertung zu unterziehen – und zwar nicht nur in intellektueller, sondern auch in emotionaler Hinsicht. Und dabei hatte er entdeckt, welch erstaunliche Frau sie war – und daß er sie plötzlich fürchtete … – nein , dachte er sogleich, Furcht ist nicht das rechte Wort. Bei aller Verwirrung war White Haven eines klar: daß er Honor Harrington nie wieder nur als seinen Protege betrachten könnte.
Honor riß die Augen auf, als sich White Havens Emotionen veränderten, die sie via Nimitz überwachte. Wie weggeblasen verschwand ihre Verärgerung über den Earl. Er hatte seine volle Aufmerksamkeit auf sie gerichtet, nicht auf ihre Worte, sondern auf sie persönlich.
Honor rückte mit dem Stuhl ein wenig von White Haven ab und hörte, wie hinter ihr Nimitz auf die Konsole herabsprang. Dann floß der ‘Kater über ihre Schulter und auf ihren Schoß. Honor lenkte sich ab, indem sie ihn in die Arme schloß, als könnte sie dadurch die Zeit anhalten und Ordnung in ihre rasenden Gedanken bringen.
Das durfte – das konnte nicht geschehen! Als Nimitz den Empfindungen White Havens die eigene Zufriedenheit mit dessen Reaktion hinzufügte, hätte sie den Baumkater am liebsten zornig geschüttelt. Nimitz wußte, wie sehr sie Paul
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