Honor Harrington 7. In Feindes Hand
in Gedanken noch einmal ihre Konfrontation – wenn dies das richtige Wort war – und die Minuten danach Revue passieren ließ.
Konnte er ihr irgendwie offenbart haben, daß er sie so plötzlich so grundlegend anders sah? Er war entschlossen gewesen, sich nichts anmerken zu lassen, und nach so vielen Jahren im Dienst der Navy und den viel zu häufigen Zusammenstößen mit den Wirren der manticoranischen Politik hätte er schwören können, sein Gesicht sei darin geübt, alles zu verbergen, was er andere nicht wissen lassen wollte. Und doch – war seine neue Haltung nicht die einzig denkbare Ursache für Harringtons verändertes Verhalten? Mit einem Mal war sie so wachsam gewesen, so vorsichtig in seiner Nähe. Hatte sie es also irgendwie bemerkt? Eins stand fest: Sie besaß ein geradezu unheimliches Talent, die Gefühlslage ihrer Umgebung zu erfassen. White Haven war nicht der einzige, dem diese Gabe aufgefallen war; er erinnerte sich an Unterhaltungen mit Mark Sarnow, Yancey Parks und anderen Flaggoffizieren, unter denen sie gedient hatte. Hatte ihre Intuition, oder was es sonst war, seinen Gefühlsansturm registriert? Hatte sie seine Reaktion mißverstanden, fürchtete sie am Ende etwa, daß er seine Position als ihr zukünftiger kommandierender Offizier ausnutzen könnte, um ihr gleich welche Form von … Vertraulichkeit abzuzwingen?
Selbstverständlich nicht! Sie kannte ihn zu gut, um ihm so etwas zuzutrauen! Doch zugleich fragte er sich, ob sie denn wirklich so falsch gelegen hätte, ihm diese Absicht zu unterstellen, wie er gern glauben wollte? In seinem ganzen Leben hatte White Haven noch nie seine Stellung ausgenutzt und war stets der festen Überzeugung gewesen, auch niemals in Versuchung zu geraten, denn er verachtete jeden Offizier, der seine oder ihre Position auf diese Weise mißbrauchte. Doch er mußte zugeben, daß er noch nie etwas empfunden hatte wie das … das an jedem Abend, was auch immer es bedeuten mochte. Und du bist schließlich auch nicht ganz der Säulenheilige, als den du dich beim staunenden Publikum immer ausgibst, nicht wahr, Hamish?
Er schloß die Augen und atmete tief ein. Hamish Alexander liebte seine Frau. Er liebte sie seit dem Tag, an dem er sie kennenlernte, und würde sie bis zu dem Tag lieben, an dem sie starb. Und das wußte sie. Aber sie wußte auch, daß er mehrere Affären gehabt hatte, seit sie durch ihren Unfall an den Lebenserhaltungsstuhl gefesselt war. Es bestand keine Möglichkeit – keine Aussicht, keine Hoffnung –, daß sie beide jemals wieder eine körperliche Beziehung führen würden. Das war ihnen beiden klar, und deshalb schaute Emily in die andere Richtung, wenn er sich auf eine seiner seltenen Affären einließ. Emily wußte, daß jede Affäre nur vorübergehend sein würde, daß seine gelegentlichen Geliebten stets Frauen waren, die er mochte und denen er vertraute, die er jedoch nicht liebte – nicht so, wie er sie liebte und immer lieben würde. Emily war es, zu der er stets wieder zurückkehrte, denn sie teilten alles außer jener einen Art von Intimität, die ihnen auf immer verloren gegangen war. Alexander wußte, daß er ihr damit weh tat – nicht, weil er ›untreu‹ war, sondern weil er sie damit an das Verlorene erinnerte. Wenn seine ›Untreue‹ jemals an die Öffentlichkeit geriet, würde Emily noch größere Qualen erdulden müssen, und deshalb war er stets sehr vorsichtig – und vermied sorgfältig jede Beziehung, die sich zu mehr als nur einer Freundschaft entwickeln mochte.
All dessen war er sich nun nicht mehr sicher, und das schmerzte ihn tief in seinem Innersten, wo sein Glaube an sich selbst, sein Selbstvertrauen wohnte. Niemals hatte er etwas Ähnliches empfunden wie in diesem plötzlichen, schlagartig hochkochenden Augenblick, in dem er Honor Harrington anblickte und in ihr nicht nur einen Offizier sah, sondern eine Frau, die er vorher niemals wirklich angeschaut hatte.
Es lag nicht nur an der Attraktivität, von der sie auf ihre eigene Weise sehr viel besaß. Längst achtete er nicht mehr auf die atemberaubend schönen Frauen – und Männer –, die man in einer Gesellschaft ständig zu Gesicht bekam, in der Bioskulptur so verbreitet war wie Zahnklammern. Obwohl körperliche Schönheit noch immer White Havens Aufmerksamkeit auf sich zog, beschäftigte sie seine Gedanken doch niemals in diesem Maße.
Nein, er reagierte auf etwas Verborgeneres, etwas Elementares an ihr, das ihn irgendwie ansprach. Zwar hatte er
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