Honor Harrington 8. Die Siedler von Sphinx
von den Verzerrungsbändern des Impellerantriebs bewegt wird. Da die Verzerrungsbänder keine Teilchen, sondern Wellen sind, kann der Impellerkeil zumindest theoretisch augenblicklich Lichtgeschwindigkeit erreichen. Unglücklicherweise gelten in der ›Tasche‹ aus Normalraum, in der das Schiff vorangleitet, weiterhin die Gesetze von Impulserhaltung und Trägheit weiter. Jede Beschleunigung ruft also eine Beschleunigungsbelastung oder G-Kraft hervor. Infolgedessen bleibt die effektive Beschleunigung eines bemannten Schiffes auf einen Wert begrenzt, den die Besatzung überleben kann. Von Anfang an aber ließen sich diese wenngleich geringen Beschleunigungswerte praktisch unbegrenzt aufrechterhalten, ohne dass Reaktionsmasse erforderlich war; solange die Generatoren mit Energie versorgt wurden, waren der Antriebstätigkeit im Endeffekt keine Grenzen mehr gesetzt.
Was jedoch den interstellaren Flug betrifft, so haftet dem Impellerprinzip ein gewaltiger Nachteil an, der zunächst nicht erkannt wurde. Kurz gesagt vergrößert er die Gefahr, die von der Gravitationsscherkraft ausgeht, ins Unermessliche, denn die Wechselwirkung zwischen einer unfassbar starken Gravwelle und der künstlichen erzeugten Schwerkraftverzerrung durch den Impellerkeil setzt eine Energie frei, die genügt, um jedes Sternenschiff schlagartig in eine glühende Gaswolke zu verwandeln.
Im militärischen Interessenbereich wurde rasch entdeckt, dass die Heck- und die Bugöffnung (der ›Rachen‹) des Impellerkeils zwar offen bleiben müssen, die offenen Seiten indes durch weitere Gravwellen verschlossen werden können. Diese zusätzlichen Verzerrungsbänder nennt man Seitenschilde, weil sie wirksam feindlichen Beschuss abwehren. Zur Zeit der Erfindung des Impellerprinzips konnten selbst Energiestrahlen keine Wellenfront durchschlagen, in der die lokal wirksame Gravitation von Null auf das Mehrhunderttausendfache der Erdanziehungskraft ansteigt. Es sollte Jahrhunderte dauern, bis es gelang, eine Energiewaffe zu konstruieren, die zumindest auf Kernschussweite ›ein Loch‹ durch einen Seitenschild ›brennen‹ konnte. Nur fünfzig Jahre nach der Erfindung der Verzerrungsbänder kamen die ersten Lenkraketen mit Seitenschildbrechern in Einsatz, die sich zudem kompromisslos die unglaubliche Beschleunigungswirkung des Impellerantriebs zunutze machten. Seitdem stehen die Konstrukteure von Verteidigungssystemen in einem fortwährenden Wettlauf mit neuen Durchschlagsmechanismen und Offensivsystemingenieuren, die ihre Schildbrecher an die neuen Defensivanlagen anpassen.
Den Schiffbauern auf Beowulf wurden die Nachteile in der Anwendung des Impellerantriebs bei interstellaren Reisen rasch bewusst, und mehrere Jahrzehnte lang schien es, als würde das Triebwerk immer auf interplanetarischen Verkehr beschränkt bleiben. 1273 P. D. jedoch erkannte auf Alt-Terra die Wissenschaftlerin Adrienne Warshawski eine überlichtschnelle Anwendungsmöglichkeit des Impellerprinzips, die bislang übersehen worden war. Vor ihren Testflügen an Bord der Fleetwing war jeder Versuch, den Impellerantrieb im Hyperraum einzusetzen, in einer Katastrophe auf ganzer Linie geendet, doch Professor Warshawski fand eine Möglichkeit, das Problem zu umgehen. Sie hatte bereits ein Gerät erfunden, das den Hyperraum im Umkreis von fünf Lichtsekunden rings um ein Sternenschiff nach Gravwellen durchmusterte und zuverlässig deren Abdrift registrierte. (Bis zum heutigen Tag bezeichnen die Besatzungen der Sternenschiffs alle Gravitationssensoren als ›Warshawskis‹.) Der Warshawski-Detektor ermöglichte es erstmals, den Impellerantrieb zwischen Gravwellen zu benutzen, denn sie konnten nun entdeckt und also auch vermieden werden.
Allein dadurch hätte sich Adrienne Warshawski unsterblichen Ruhm erworben, doch so nützlich der Gravdetektor auch war, neben ihrer nächsten Errungenschaft schien er zur Bedeutungslosigkeit zu verblassen. Bei ihrer Arbeit an ihrem Grav-Detektor war Prof. Warshawski tiefer in die Natur der Gravwellen eingedrungen als jeder ihrer Vorgänger. Unvermittelt gelangte sie zu dem Schluss, es müsse möglich sein, einen Impellerantrieb zu konstruieren, der sich gegebenenfalls dazu rekonfigurieren ließe, eine Gravwelle im rechten Winkel zum erzeugenden Schiff zu projizieren. Zwar wurde damit keine Antriebswirkung mehr auf eine Tasche Normalraum erzielt, doch die quer stehenden Gravitationsfelder ließen sich mit einer Gravwelle in Phase bringen, sodass der Interferenzeffekt
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