Honor Harrington 8. Die Siedler von Sphinx
effektiv in fester Beziehung zu anderen verankerten Wellen stehen. Doch gibt es auch unverankerte Wellen, deren Abdrift-Verhalten bislang noch nicht verstanden wurde (wenn es denn begreifbar ist); diese Wellen ändern ihre Position manchmal sogar mit blitzartiger Geschwindigkeit. Eine der berühmtesten davon ist der Selker-Riss zwischen dem Anderman-Reich und der Silesianischen Konföderation, doch gibt es weit mehr solcher ›unverankerter‹ Wellen. In weniger befahrenen Gebieten – über die entsprechend weniger Daten vorliegen –, können sie außerordentlich tückisch sein.
Das Herz einer Gravwelle ist bei weitem stärker verzerrt als die Randzonen. Anders ausgedrückt besteht eine Gravwelle aus zahlreichen Schichten von ›Gravstrudeln‹. In den meisten Fällen besitzen alle Teile der Welle die gleiche Orientierung, doch es ist möglich, dass sich unvorhersehbar Gegenschichten innerhalb der Gravwellen befinden, in denen sich die Flussrichtung umgekehrt hat. Trotz der gewaltigen Ausdehnung einer solchen Welle ist der Hyperraum zum allergrößten Teil frei von Gravwellen; auf echte ›Ungeheuer‹, die zehn bis fünfundzwanzig Lichtjahre tief sein können, trifft man eher selten. Selbst nach den Maßstäben des Hyperraums sind die Abstände zwischen solchen Wellen gewaltig. Allerdings schrumpft die durchschnittliche Entfernung zwischen zwei Wellen umso stärker zusammen, je höher man in die Hyperbänder transistiert. Die größte Gefahr, die den frühen Hyperschiffen von Gravwellen drohte, besteht in dem Phänomen, das man Gravitationsscherkraft nennt. Es tritt auf, wenn ein Schiff in den Wirkungsbereich einer Gravwelle eintritt, und ist in Zonen, in denen zwei oder mehr Gravwellen zusammentreffen, außerordentlich deutlich spürbar. An diesen Stellen sieht sich ein Raumschiff urplötzlich punktuell einer Gravitationskraft ausgesetzt, die viele hundert oder tausend Mal so stark ist wie die, welche auf den Rest des Rumpfes wirkt. Für jedes Schiff, das je gebaut wurde, bedeuten die resultierenden Scherkräfte ein rasches, katastrophales Ende.
Theoretisch könnte ein Schiff sich parallel zur Gravwelle ausrichten und in extrem flachem Winkel allmählich hineinschieben, ohne den abrupten, verheerenden Scherkräften ausgesetzt zu sein, die es auf der Stelle zerreißen würden. Praktisch konnte man sich damals der vernichtenden Scherung nur auf eine einzige Weise entziehen: indem man sich von den Gravwellen völlig fernhielt. Nur war ausgerechnet das ein Ding der Unmöglichkeit. Trotz ihrer großen Ausdehnung entdeckte man Gravwellen erst in dem Augenblick, in dem man in sie eindrang, denn vorher aufspüren ließen sie sich nicht. Deshalb war es praktisch unmöglich, einen Kurs zu planen, auf dem man sie mit Sicherheit vermied. Es bestand eine Möglichkeit, die Gravwelle in dem Augenblick zu bemerken, in dem man in ihre Ausläufer eindrang, und wenn man einen günstigen Kursvektor besaß, erhielt man durch ein promptes Ausweichmanöver eine Chance, die Begegnung zu überleben – wenngleich diese Chance nicht sonderlich groß war. Die Gravwelle war und blieb die am meisten gefürchtete und die größte Bedrohung der überlichtschnellen Weltraumfahrt.
Dann wurde im Jahre 1246 P. D. auf Beowulf, dem kolonisierten Planeten des Sigma-Draconis-Systems, das erste phasengesteuerte Gravitationstriebwerk entwickelt. Weitläufig bekannt werden sollte es als Impellerantrieb. Dabei handelte es sich um einen reaktionslosen Unterlichtantrieb, der künstlich die Gravitationswellen nachahmte, die man jahrhundertelang im Hyperraum beobachten konnte. Der Impellerantrieb benutzt eine Reihe von Schwingknotengeneratoren, um paarweise Verzerrungsbänder im Normalraum zu erzeugen: eins über und eins unter dem Schiff, in dem der Antrieb installiert ist. Sobald man die Bänder einander zuneigt, erzeugt man eine Art keilförmigen Quasi-Hyperraum, der selbst zwar keine Wirkung auf das Schiff ausübt, das ihn erzeugt, aber eine so genannte ›zahme Gravwelle‹ schafft, die in der Lage ist, sehr rasch annähernde Lichtgeschwindigkeit zu erreichen. Wegen des Winkels, in dem die beiden Verzerrungsbänder zueinander stehen, gleitet das Schiff in einer kleinen Tasche Normalraum dahin, die zum Bug hin offen ist, sich heckwärts verengt und zwischen den Gravwellen gefangen sitzt. Die Anordnung lässt in gewisser Weise an ein Surfbrett denken, mit dem man auf der Brandung reitet, nur dass hier die Welle nicht von den Gezeitenkräften, sondern
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