Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
eine Skalpellklinge.
»Das kann ich mir vorstellen«, entgegnete Benson und verzog voll Bitterkeit den Mund. »Jedenfalls befahl der Mistkerl Amy zu sich ins Shuttle, und sie geriet in Panik. Von Styx kommt man nicht mehr zurück, Dame Honor, und deshalb versuchte sie zu fliehen, aber das wollte das Schwarzbein sich nicht gefallen lassen. Er rannte ihr nach, und Adam griff ihn an. Das war sehr dumm, aber er liebte seine Schwester und wusste genau, was das Dreckschwein von ihr wollte. Adam riss den Havie zu Boden – da trat der Pilot mit einem Pulsergewehr aus dem Shuttle und schoss ihn in Fetzen.«
Schweigend starrte sie auf ihre Hände.
»Ich wollte sie alle umbringen«, sagte sie mit einer Stimme, die plötzlich kühl und beherrscht klang. »Ich wollte sie alle aus ihrem verfluchten Shuttle zerren und mit bloßen Händen in Stücke reißen. Wir hätten es tun können.« Sie blickte Honor mit einem erstarrten Grinsen an. »Und es ist schon getan worden, Commodore. Zwomal. Die Havies haben darauf eine sehr einfache Antwort. Deshalb war ich auch so entsetzt, als ich dachte, Sie hätten einen der Versorgungsflüge angegriffen. Denn wer das tut, sieht nie wieder ein Shuttle über seinem Lager. Das war’s. Man« – sie machte eine wegwerfende Handbewegung – »man schreibt das betreffende Camp dann einfach ab, und wenn keine Lebensmittel geliefert werden …« Ihre Stimme verebbte, und sie hob die Schultern.
»Das wusste ich«, fuhr sie nach einem kurzen Schweigen fort, »ich wusste, dass wir den Shuttle nicht stürmen durften, sosehr diese verdrehten, mordlustigen Mistkerle es auch verdienten. Aber ich konnte ihnen Amy auch nicht überlassen – nicht, nachdem Adam für sie gestorben war. Als die Schwarzbeine ihr weiter nachsetzen wollten, stellte ich mich ihnen in den Weg.«
»In den Weg?«, wiederholte Honor, und Dessouix lachte traurig auf.
»Sie vertrat den bâtards den Weg«, erklärte er voll grimmigern Stolz. »Stellte sich direkt vor ihre hässlichen Visagen. Und sie ging nicht zur Seite. Ich dachte, sie erschießen sie, aber sie wäre keinen Zentimeter zurückgewichen.«
»Und Henri auch nicht«, sagte Benson. »Er stellte sich nämlich neben mich, dann kamen noch zwei, dann ein Dutzend, bis schließlich zwo- oder dreihundert von uns da gestanden haben müssen. Wir erhoben nicht die Hand, nicht mal einen Finger, auch nicht, als sie versuchten, uns mit dem Gewehrkolben zu vertreiben. Wir standen nur da, und wenn einer zu Boden ging, trat jemand anders in die Lücke. Niemand ließ sie durch, bis sie es schließlich aufgaben und weiterflogen.«
Ihre hellen grauen Augen glänzten, von Erinnerungen an das Geschehen überwältigt, Erinnerungen an die Solidarität ihrer Kameraden, doch dann senkte sie wieder den Blick, und Honor kostete die bitteren Emotionen, die Nimitz ihr übermittelte.
»Aber sie haben sich revanchiert«, fuhr sie leise fort. »Sie haben die Lebensmittelversorgung trotzdem eingestellt.« Sie holte wieder tief Luft. »Haben Sie unseren ›Akzent‹ bemerkt, bei Henri und mir?«, fragte sie.
»Ja, eigentlich schon«, gab Honor zu. Nur die Überraschung über den vermeintlichen Gedankensprung verleitete sie zu dieser Taktlosigkeit, und Benson lachte freudlos auf.
»Das ist kein Akzent«, sagte sie, »sondern ein Sprachfehler. Sie sind vermutlich noch nicht lange genug auf dieser Welt, um es zu wissen, aber es gibt hier tatsächlich eine Pflanze, die wir essen und wenigstens zum Teil verdauen können. Wir nennen sie ›Falsche Kartoffel‹, und sie schmeckt wie … Ach, das wollen Sie gar nicht wissen. Ich würde es jedenfalls gern vergessen. Aus irgendeinem Grund kann unser Verdauungstrakt sie teilweise abbauen, und eine Weile kann man davon leben. Nicht lange, aber wenn wir damit unsere terrestrischen Nahrungsmittel strecken, geht es. Leider enthält die Falsche Kartoffel in winzigen Spuren einen Giftstoff, der sich im Gehirn zu kumulieren scheint und das Sprachzentrum befällt. Hier auf Hell gibt es nicht viele Ärzte, und ich habe nie Gelegenheit erhalten, mit jemandem aus einem anderen Lager zu sprechen, deshalb weiß ich nicht einmal, ob man dort überhaupt schon weiß, dass man das Zeug essen kann, geschweige denn, warum oder wie genau es uns schadet. Wir wissen es jedenfalls, und als die Versorgungsflüge aufhörten, blieb uns keine Wahl. Wir mussten uns von Falscher Kartoffel ernähren.« Mit einer Stimme, aus der jedes Gefühl verschwunden war, fügte sie hinzu: »Entweder
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