Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
der alte Flottenadmiral grinste. »Freiheit des Gewissens, Commander Caslet!«, rief er und lachte laut auf, als er dessen Gesicht sah. »Mein Sohn, Sie stecken so tief in der Scheiße, tiefer sinken können Sie nicht mehr«, rief der ehemalige Chef des havenitischen Admiralstabes aus. »Deshalb zählt für Sie nur noch eins: Die Entscheidung Ihres Gewissens. Als wir noch die Republik führten, haben wir unsere Offiziere zu dergleichen nicht gerade ermutigt, und Pierre und seine Kumpane würden es erst recht nicht tun. Aber unter uns gesagt, haben wir Sie in die Enge getrieben. Jetzt stehen Sie mit dem Rücken an der Wand, und in mancherlei Hinsicht genießt ein Mensch, der nichts mehr zu verlieren hat, eine größere Entscheidungsfreiheit als jeder andere in diesem Universum. Deshalb sollten Sie nutzen, was wir Ihnen gegeben haben, Commander.« In seiner Stimme lag keinerlei Heiterkeit mehr, und er beugte sich vor, die braunen Augen finster und zwingend. »Sie haben einen verdammt hohen Preis bezahlt, und dieses Geschenk kann Sie binnen eines Herzschlags umbringen, aber es gehört Ihnen – nur Ihnen. Entscheiden Sie sich und wählen Sie Ihren Kurs. Bestimmen Sie, wem Sie die Treue halten wollen, mein Junge. Mehr kann ich Ihnen nicht raten, denn mehr hat man mir nicht gelassen, aber nehmen Sie meinen Rat an – und wenn es nachher irgendjemand wagt, Ihre Entscheidung infrage zu stellen, dann spucken Sie ihm verdammt noch mal ins Gesicht!«
BUCH FÜNF
28
»Bürger Saint-Just ist jetzt da, Bürger Vorsitzender«, meldete der Sekretär, und Rob Pierre blickte von seinem Schreibtisch auf, als der Sicherheitschef hineingeführt wurde. Pierre saß zwar nicht in seinem offiziellen Büro, das mit HD-Staffage vollgestellt war, damit es in den Nachrichten besonders eindrucksvoll wirkte, aber von diesem einfachen Schreibtisch aus herrschte er über die Volksrepublik. Nur seine engsten Verbündeten bekamen je das angenehm schäbige Mobiliar und das arbeitsame Durcheinander zu Gesicht.
Und heute hatte er viel weniger solche Verbündete als noch vor acht T-Jahren.
Dem beiläufigen Beobachter wäre Oscar Saint-Just auch an diesem Tag so farblos, unschuldig und gleichmütig vorgekommen wie immer, doch Pierre kannte ihn zu gut: Er las ihm die heftige Verstimmung an den nach außen hin so leidenschaftslosen Augen ab. Und er seufzte, als er es bemerkte. Er war sich recht sicher gewesen, den Grund zu kennen, weshalb Saint-Just ihn hatte sprechen wollen, doch er hatte gehofft, sich diesmal, nur dieses eine Mal zu irren.
Leider irrte er sich nicht.
Pierre winkte Saint-Just in einen der abgenutzten Sessel vor dem Schreibtisch und lehnte sich zurück. Einen Augenblick nur gestattete sich Pierre die Erinnerung an ein anderes Büro, ein anderes Treffen mit dem Mann, der im legislaturistischen Amt für Innere Abwehr stellvertretender Leiter gewesen war. Gemischte Gefühle rief sie hervor, diese Erinnerung. Einerseits dachte er an die Erfolge, die sie erzielt hatten. Andererseits war jenes Treffen der erste Schritt auf dem Weg gewesen, an dessen Ende Robert S. Pierre dem hungrigen Moloch Volksrepublik Haven gegenüberstand, und wenn er damals gewusst hätte, was er heute wusste …
Und wenn du’s gewusst hättest, du hättest doch nicht anders gehandelt , widersprach ihm sein Verstand nachdrücklich. Jemand musste es tun. Und sei ehrlich, Rob – du wolltest es sogar tun. Du hast dich freiwillig an den Spieltisch gesetzt und dir die Karten geben lassen, also hör auf, über dein Blatt zu jammern, das du bekommen hast, und mach weiter!
»Weshalb wolltest du mich sprechen, Oscar?«, fragte er, um nicht lange um den heißen Brei herumzureden.
»Ich möchte dich ein letztes Mal fragen, ob es dir ernst damit ist«, antwortete Saint-Just. Er klang so ruhig wie immer, doch diese Ruhe hatte ihn nicht einmal verlassen, als LaBoeufs aufgestachelte Irren sich Stockwerk um Stockwerk den Komiteeturm hochkämpften. Manchmal fragte sich Pierre, ob durch eine Laune der Evolution die übliche Verbindung zwischen Unruhe und Stimmhöhe bei ihm fehlte. Oder hatte man ihm einen der mythischen Androiden untergeschoben, wie sie von Autoren noch vor Anbeginn der Raumfahrt ersonnen wurden?
»Ich nehme an, du sprichst von der Geldabwertung?«
»Zum Teil. Diese Sache beunruhigt mich, das kannst du mir glauben, Rob. Aber wenn ich ehrlich bin, sie bereitet mir erheblich weniger Sorgen als die lockeren Zügel, die du McQueen
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