Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
die Möglichkeit bestand, dass das Komitee für Öffentliche Sicherheit sich entschloss, den einen oder anderen Insassen von Delta-Vierzig zurückzurufen und sich seine oder ihre Fähigkeiten wieder zunutze zu machen, war die SyS sorgfältig darauf bedacht gewesen, diese Leute nicht gegen das Regime zu verbittern. Infolgedessen war Longmont wie die meisten ihrer Mitgefangenen zu dem Schluss gekommen, die Horrorgeschichten, die über Hell im Umlauf waren, wären eben nicht mehr als nur Geschichten. Sie hatte keine einzige Misshandlung oder willkürliche Grausamkeit beobachtet … und umso mehr hatte es sie schockiert zu entdecken, was in anderen Lagern vor sich ging. Bald kam ein Schuldgefühl hinzu, der SyS gegenüber zu gutgläubig gewesen zu sein und ihr die Täuschung allzu sehr erleichtert zu haben.
Natürlich sahen es nicht alle gefangenen havenitischen Offiziere so. Manch einer war entzückt, eine wenngleich sehr geringe Chance zu erhalten, von Hell zu fliehen und gegen die Neue Ordnung und ihre Schergen zurückzuschlagen. Ein überraschend hoher Anteil unter den Gefangenen aus Lager Delta-Vierzig wollte sich jedoch an der Flucht nicht beteiligen. In einigen Fällen bestand der Beweggrund in der Furcht zu scheitern und dem Wunsch zu überleben, doch die meisten Gefangenen dieses Lagers waren trotz allem, was ihnen in der Vergangenheit widerfuhr, der Republik (wenn auch nicht unbedingt dem Komitee für Öffentliche Sicherheit) loyal ergeben. Indem sie sich weigerten, Honors Bemühungen zu unterstützen, bewiesen sie diese Loyalität und hofften eindeutig, sich in ihrem eigenen Volk und nicht unter Fremden rehabilitieren zu können, wenn die Volksrepublik den Planeten Hell zurückeroberte.
Diesen Wunsch konnte McKeon respektieren – doch brachte er Menschen wie Longmont noch größeren Respekt entgegen. Die Havenitin – die tatsächlich noch immer darauf bestand, dass man sie als ›Bürgerin Admiral Longmont‹ ansprach –, fand sich in ihrer Loyalität hin und her gerissen. McKeon vermutete sehr, dass sie sich am Ende Flottenadmiral Parnell anschließen und ins solarische Exil gehen würde. Im Gegensatz zu Parnell jedoch, der aus den gleichen Gründen wie Benson und Ramirez jede Beteiligung am Kriegsgericht abgelehnt hatte, stellte Longmont sich der Gerechtigkeitsfindung zur Verfügung und machte keinen Hehl aus ihren Motiven.
»Hier auf Hades sind Gräueltaten begangen worden, und die Schuldigen müssen bestraft werden«, hatte sie Honor offen gesagt und sie mit matten brauen Augen angesehen. »Das kann jedoch nicht bedeuten, dass Sie Carte blanche besitzen, jeden zu verurteilen und aufzuhängen, der vor Ihr Tribunal gestellt wird, Flottenadmiral Harrington. Ich werde als Richterin dienen, aber nur unter einer Bedingung: Jeder Schuldspruch in einem todeswürdigen Verbrechen darf nur durch Einstimmigkeit ergehen, nicht durch einfache Mehrheit.«
»Aber das …«, begann Ramirez, schloss jedoch den Mund, als Honor die Hand hob, ohne den Blick von Longmonts steinernem Gesicht abzuwenden.
»Ich stimme Ihnen zu, dass wir ein Gericht wollen und keine Quelle für Freibriefe«, entgegnete sie ruhig, »aber ich werde Ihnen andererseits auch keinen Freibrief erteilen, jedes Urteil zu blockieren, das gefällt werden soll, Bürgerin Admiral.«
»Darum würde ich Sie auch nicht bitten«, erwiderte Longmont. »Sie haben mein Ehrenwort – und wenn Sie es wollen, bestätige ich es unter dem Lügendetektor –, dass ich getreu meiner ehrlichen Überzeugung und Deutung der vorgelegten Beweise urteilen werde. Wenn ich zu der Ansicht gelange, dass nach unseren Dienstvorschriften und dem Militärstrafgesetzbuch die Todesstrafe zu verhängen ist, dann werde ich dafür stimmen. Aber ich will Sie nicht täuschen, Lady Harrington. Ich bin nur deshalb bereit, diese Rolle auszuüben, weil ich es für meine Pflicht und Schuldigkeit halte, als Stimme des Zweifels zu dienen, als Stimme für die Angeklagten, es sei denn, Ihre Ermittlungen und die vorgelegten Beweise überzeugen mich vollständig von ihrer Schuld.«
McKeon konnte nicht vorhersagen, wie Honor darauf reagieren würde. Er saß neben ihr am Konferenztisch und versuchte, den vor Wut still vor sich hin qualmenden Konteradmiral Styles zu ignorieren, der am unteren Ende des Tisches hockte. Während sie über Longmonts Worte nachdachte, musterte McKeon den gelassenen Ausdruck auf ihrer belebten Gesichtshälfte. Sie hielt Nimitz in der Armbeuge und drückte ihn an ihre
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