Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
mühte sich, seinen Grimm zu verbergen. Zwar hatte Gonsalves in Bezug auf das Militärstrafgesetzbuch Recht, doch deshalb musste es ihm noch lange nicht gefallen. Nach den manticoranischen Kriegsartikeln wurde Vergewaltigung mit dem Tode bestraft, ob Gewalt dabei tatsächlich eingesetzt oder nur angedroht wurde, und angesichts der Situation auf Hell musste eigentlich jede Forderung, die ein Schwarzbein stellte, als indirekte Gewaltandrohung verstanden werden. Wäre es nach ihm gegangen, hätte McKeon diesen Bürger Lieutenant Mangrum im Handumdrehen aufgeknüpft und auf sein Grab gepinkelt, doch Honor hatte Recht. Ihnen blieb in der Tat keine andere Wahl, als nach havenitischen Bestimmungen vorzugehen. Andernfalls verbot Paragraf 27 der Deneber Übereinkünfte jedes Verfahren gegen feindliche Truppenangehörige, solange die kriegerischen Auseinandersetzungen nicht abgeschlossen waren – und weder er noch Honor wollten diese Übereinkünfte verletzen, nicht nach all dem, was sie erlebt hatten. Absatz 42 befasste sich mit Strafverfahren gegen Einzelpersonen, die vor ihrer Gefangennahme angeblich gegen lokal gültige Gesetze verstoßen hatten. In diesem Fall durfte man sie nur nach dem Militärstrafrecht der Volksrepublik verfolgen, denn zum Zeitpunkt der Straftaten war Hell souveränes Hoheitsgebiet der Volksrepublik Haven. Prozesse ex post facto nach dem nationalen Recht der Gefangennehmer waren ausdrücklich verboten.
»Ich halte den Hinweis Captain Gonsalves’ für sehr wichtig«, sagte Bürgerin Admiral Longmont schließlich. »Meiner Ansicht nach ist der Straftatbestand der Vergewaltigung eindeutig belegt, nicht nur durch Mangrums Geständnis, sondern auch durch handfestes Beweismaterial. Der Mord hingegen konnte ihm nicht zwingend nachgewiesen werden.«
»Das wäre anders, wenn das Überwachungsmaterial nicht verloren gegangen wäre«, knurrte Hurston.
»Da könnten Sie Recht haben«, gab Longmont zu. »Persönlich glaube ich sogar, dass Sie sich nicht irren. Für meinen Geschmack hat Mangrum die Vergewaltigung ein wenig zu bereitwillig gestanden, und ich verdächtige ihn, sie nur deshalb zugegeben zu haben, um uns von seiner ›Ehrlichkeit‹ und ›Reue‹ zu überzeugen, damit wir ihm glauben, wenn er die Mordanklage zurückweist. Aber was Sie oder ich vermuten, ist kein Beweismaterial.«
»Anderseits haben wir die Aussagen der beiden anderen Sklaven, Hedges und Usterman«, warf McKeon ein.
»Das ist wohl wahr«, entgegnete Simmons, »aber ihre Aussagen widersprechen sich in mehreren Punkten; Usterman widerspricht sich sogar selber zwomal. Und weder er noch Hedges konnten erklären, wie Mangrum zu der Zeit, als Weiller ermordet wurde, von der Gruft in sein Quartier gekommen sein soll, ohne dass er von irgendjemandem gesehen oder von den Überwachungssystemen der Basis aufgenommen wurde.«
»Hm«, grunzte Hurston unzufrieden und ärgerlich, doch diese Gefühle richteten sich nicht gegen Simmons. Das Problem bestand eben darin, dass der Commodore Recht hatte. Keiner der ehemaligen Gefangenen hätte damit gerechnet, dass die Überwachungseinrichtungen der Systemsicherheit auch das eigene Personal rund um die Uhr bespitzelten. Bei Licht betrachtet gar nicht überraschend , hatte McKeon dann gedacht. Installiert worden waren die Überwachungssysteme offenbar, um die Sexsklaven und ›Farmverwalter‹ zu beobachten, doch eine Anlage, die solch flächendeckende Observation ermöglichte, musste das tägliche Einerlei der meisten Schwarzbeine ebenfalls aufzeichnen. Als Harkness und seine Maulwürfe in diese Dateien einbrachen, fanden sie einen gewaltigen Schatz an Beweismaterial: nicht nur Tonaufzeichnungen von Gesprächen, in denen SyS-Leute beiläufig erwähnten, was sie den Gefangenen unter ihrer Aufsicht angetan hatten, sondern auch Bildmaterial, das Wärter zeigte, wie sie die Verbrechen begingen, für die sie nun vor Gericht standen. Als Beweisstück war jede dieser Aufzeichnungen zulässig, denn das havenitische Recht verbot nicht wie im Sternenkönigreich elektronisches Belastungsmaterial, das ohne einen Gerichtsbeschluss gesammelt wurde.
Leider führte gerade dieser Überfluss an Material dazu, dass die Richter sich weniger sicher fühlten, wenn es um einen Fall ging, zu dem keine aufgezeichneten Beweise existierten. In diesem speziellen Fall war es noch erdrückender, denn es gab Bildmaterial mit elektronischem Zeit- und Datumsstempel, das zeigte, wie sich Mangrum zu einem gewöhnlichen Arbeitstag im
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