Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
der Mannschaften und Unteroffiziere. Als Folge war ein Gebilde entstanden, das sehr an die gegenwärtige Volksflotte erinnerte: Die Streitkräfte konnten die Wehrpflichtigen im Mannschaftsrang nicht lange genug halten, um sie so weit auszubilden, dass sie manticoranischen Standards genügt hätten. Daher entsprang Phillips’ tiefverwurzelte Überzeugung, Offiziere sollten ihre Arbeit besser beherrschen als Unteroffiziere, nur den Erfahrungen, die sie in ihrer Heimatflotte gesammelt hatte, nicht aber einem blinden Vorurteil. Und wenn man ehrlich war, dann missgönnte sie Harkness seine Position weniger als viele andere nichtmanticoranische Offiziere. Ferner arbeitete sie unermüdlich daran, ihre letzten Vorbehalte abzubauen. Nur fiel es ihr ziemlich schwer.
Da lässt sich nichts machen , dachte Honor und grinste schief, Harkness bleibt, wo er ist. Auch wenn der Senior Chief kein Offizierspatent besaß, tat er seine Arbeit schon erheblich länger als Honor die ihre. Nachdem er gut sieben Monate in den Eingeweiden von Camp Charon umhergekrochen war, kannte er die Computersysteme besser als jeder andere auf Hell, und zwar einschließlich der Systemsicherheitler, denen die Basis vor der Eroberung gehört hatte. Wenn Notfälle eintraten, setzte Honor für jede Aufgabe die am besten geeignete Person ein – und im Falle der Computersysteme war und blieb das Horace Harkness.
»Ich habe verstanden, Commander«, sagte sie und erteilte sich im Stillen einen Rüffel, dass sie Phillips zu hart beurteilt habe. Schließlich und endlich kamen sie aus unterschiedlichen Navys. Wenn Honor ihr also vorgeworfen hätte, andere Bräuche und Erwartungen zu besitzen, wäre es ebenso verfehlt, wie wenn sie Phillips Harkness vorhielt, kein Offizier zu sein. »Ich komme so bald ich kann. Harrington aus.«
Sie schaltete das Com ab und tastete nach dem Lichtschalter. Erregung brannte in ihr.
Immer wenn Honor sich anzog, vermisste sie James MacGuiness noch mehr als üblich. Im günstigen Fall war sie mit nur einer Hand unbeholfen; doch wenn sie es eilig hatte, wurde es schlimmer. Am meisten ärgerte sie sich über sich selbst, weil sie sich des Problems genau bewusst war – und trotzdem versuchte, sich zur Eile anzutreiben.
Nimitz keckerte belustigt, als er ihre Gefühle schmeckte. Honor hielt inne und drohte ihm mit der Faust, dann setzte sie ihre Anstrengungen gemächlicher fort. Eines wusste sie genau: LaFollet hielt es für albern, dass sie sich unter den befreiten Gefangenen keinen neuen Steward ausgesucht hatte, und wahrscheinlich stimmten etliche ihrer Führungsoffiziere ihm in diesem Punkt zu. Auf jeden Fall zählte McKeon dazu, doch wenn es um das leidige Thema ging, sie stelle zu hohe Ansprüche an sich, hielt Honor sein Urteil stets für suspekt. Die meisten – zwar nicht alle, aber die meisten Mannschaften oder Unteroffiziere, die als Steward in Betracht gekommen wären, hätten wohl freudig eingewilligt, für Honor diese Rolle zu übernehmen.
Immer wieder war sie enerviert, wenn sie den Hosengürtel mit nur einer Hand zuziehen oder gar die altmodischen Knöpfe schließen musste, auf denen die GSN bei Uniformhemden bestand (und auf denen Henri Dessouix nach langen Diskussionen mit LaFollet aus Gründen der ›Authentizität‹ ebenso starrsinnig beharrt hatte), doch sie konnte sich nicht dazu überwinden, einen Steward anzunehmen. Wenn man sie darauf hinwies, wie töricht sie sich benahm, weigerte sie sich nur noch störrischer. Sie konnte sich einfach keinen Steward nehmen.
Einer der Gründe dafür hieß Konteradmiral Styles. Allein der Gedanke an ihn ließ Honor das Gesicht verziehen. Nach wie vor war Styles der Meinung, sie hätte sich unlauter die Befehlsgewalt angeeignet, da sie eigentlich ihm zustand. Und so unfähig er in Strategie und Taktik auch sein mochte (und für Honor verdichtete sich immer mehr der Verdacht, ihre ursprüngliche, vernichtende Bewertung seiner Fähigkeiten sei viel zu großzügig gewesen) – auf dem Gebiet des bürokratischen Gerangels war er offenbar ein Genie. Wenn sie sich mit Styles herumschlug, musste Honor unausweichlich immer wieder an eine Pflanze von Alterde denken, die Graysons Kolonisten aus einem Grund, den keiner ihrer Nachkommen kannte oder nachzuvollziehen vermochte, in ihre neue Heimat mitgenommen hatten. Dieses Rankengewächs, das Kudzu hieß, eignete sich ausgezeichnet als Bodendecker, ließ sich jedoch fast nicht wieder loswerden, wucherte mit grimmiger Ausdauer und erstickte
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