Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
bemerkt.
»Nehmen Sie Zucker, Lady Harrington?«, erkundigte sich Sullivan, und diesmal lächelte Allison, als sie sah, dass ihr Gastgeber die buschigen Augenbrauen fragend hochgezogen hatte. Wenn er (oder einer seiner Leute, was wohl wahrscheinlicher war) tatsächlich nachgeforscht hatte, welchen Tee sie am liebsten trank, dann konnte kein Zweifel bestehen, dass er auch auf diese Frage die Antwort schon kannte.
»Ja, vielen Dank, Reverend. Zwei Stücke.«
»Gern, Mylady.« Er versenkte die Zuckerstücke in dem brühheißen Getränk und rührte vorsichtig um, dann reichte er ihr das Gedeck. »Und wie auch vom Tee darf ich Ihnen versichern, dass der Metallgehalt des Zuckers genauso gering ist, wie Sie es aus dem Sternenkönigreich gewohnt sind.«
»Vielen Dank«, sagte sie noch einmal und wartete, bis er sich ebenfalls Tee eingegossen hatte, bevor sie kostete. »Hm … herrlich«, schnurrte sie. Der Reverend lächelte zurück und delektierte sich an ihrem sinnlichen Entzücken.
Allison kannte dieses Lächeln, denn sie hatte es schon oft gesehen. Den meisten Männern schien es einfach Freude zu bereiten, sie glücklich zu machen ( und so gehört es sich verdammt noch mal auch , dachte sie gelöst). Dennoch überraschte es sie ein wenig, dieses Lächeln an Sullivan zu sehen. Zwar hatte sie sehr rasch festgestellt, dass männliche Graysons erheblich galanter waren als die meisten anderen Männer, doch schon bevor sie ins Jelzin-System gekommen war, hatte sie gewusst, dass männliche Graysons durchaus auch recht selbstgefällig, bevormundend und patriarchalisch sein konnten. Deshalb war Allison darauf vorbereitet gewesen, ihnen notfalls an den Hals zu gehen, um das abzustellen, und bislang hatte sie niemanden öfter als einmal rügen müssen. Andererseits verbrachte sie ihre Zeit zum allergrößten Teil hier auf dem Gut von Harrington, wo die Haltung der Allgemeinheit mehr der ›Fortschrittlichkeit‹ zuneigte. Zum ersten Mal begegnete sie Reverend Sullivan persönlich; ihr Zusammentreffen am Tag von Honors Begräbnis war außerordentlich förmlich gewesen, und Allison hatte viel zu sehr getrauert, als dass sie sich mit dem Reverend hätte befassen können.
Obwohl sie sich daher noch keine eigene Meinung über ihn hatte bilden können, hatte sie Mirandas Bemerkungen und Honors Briefen entnommen, dass er insgesamt konservativer dachte als sein Amtsvorgänger Hanks. Niemand wollte andeuten, er stehe nicht voll und ganz hinter Benjamin Mayhews Reformbestrebungen, doch auf persönlicher Ebene schienen die Veränderungen ihm noch weniger zu behagen als zum Beispiel Howard Clinkscales. Aus diesem Grund erwartete sie, dass es ihm wie so manchem reaktionären graysonitischen Arzt schwer fiele, Frauen als Autoritätspersonen anzuerkennen. Und selbst wenn er sich in ihrer Gegenwart nicht steif verhielt und sich sein Unbehagen in keinster Weise anmerken ließ, so war sie doch davon ausgegangen, dass sich das geistige Oberhaupt der Kirche … asketischer zeigen würde. Asketischer? Meinte sie wirklich dieses Wort? Nun, nicht ganz, aber es war nahe dran.
Nur dass Reverend Sullivan ihren Erwartungen überhaupt nicht entsprach. In seinen Augen lag warmherzige Anerkennung ihrer Attraktivität, und hinter Sullivans aufmerksamer Fassade spürte sie, dass es ihm wohl gefiel, mit ihr zu kokettieren. Sie wusste, dass er verheiratet war – nach überliefertem Brauch mit drei Frauen – und niemals weiter gehen würde, als fröhlich mit ihr zu flirten. Dennoch war eine weltliche Vitalität an ihm, mit der Allison nicht gerechnet hatte.
Nun, warum nicht? , dachte sie. Auch wenn Honor es nicht bemerkt hat … Als sie an ihre Tochter dachte, durchzuckte sie der alte Schmerz, doch trotz der Trauer verfolgte sie den Gedankengang weiter. Der Herr hab sie selig, aber das Universum musste sie schon mit einem Ziegelstein zwischen die Augen treffen, damit sie bemerkte, dass es so etwas wie ein anderes Geschlecht gibt! Aber die graysonitischen Männer sind hinter all ihrer Ritterlichkeit und den Benimmregeln, die sie in Gegenwart fremder Frauen einhalten, genauso ›weltlich‹ – sie grinste innerlich, weil sie schon wieder solch ein Wort benutzte – wie mein Sexualberater auf der Highschool. Himmel! Man braucht doch nur einmal die Nase in ein gehobeneres Wäschegeschäft zu stecken, um das zu erfahren!
Vermutlich erklärte dies auch Sullivans Verhalten ihr gegenüber. Frauen wie Honor flößten ihm wahrscheinlich Unbehagen ein – weniger,
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