Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
dahinfließenden Schwung, den man von Nimitz gewohnt war, bewegte er sich noch immer unleugbar schwerfällig, und tief in der Brust empfand LaFollet den Schmerz nach, der den ‘Kater so augenscheinlich quälte. Trotzdem war Nimitz kein Selbstmitleid anzumerken. Ganz offenbar hielt der Baumkater sich wieder für einsatzbereit, wenngleich auf beschränkterer Ebene, und er schlug unverkennbar belustigt den buschigen Schwanz, als er LaFollet von oben anbliekte.
Der Waffenträger sah weg, beschattete sich mit der Hand die Augen und musterte einmal mehr die beiden menschlichen Gestalten, auf die es die Gutsherrin abgesehen hatte. Allzu viele Einzelheiten konnte er mit bloßem Auge nicht erkennen, doch immerhin ließ sich eindeutig sagen, dass es sich um dasselbe Paar handelte, das die Gutsherrin und er schon am Vortag beobachtet hatten. Der Mann war klein und so kahl wie ein Ei, seine Haut so schwarz, dass sie violett schimmerte, und er bevorzugte schreiend grell gefärbte Kleidung. Die Frau überragte ihn um wenigstens fünfzehn Zentimeter, kleidete sich in nüchternes Grau und trug ihr Goldhaar zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr bis zum Gürtel herabhing. Ein ungleicheres Paar konnte man sich nur schwer vorstellen, und beim ersten Mal hatte LaFollet sich nur gewundert, was die beiden eigentlich taten, denn sie schritten bedächtig den äußersten Rand des gerodeten Bereichs rings um das Lager ab – sonst taten sie nichts.
Bislang war diese Frage unbeantwortet geblieben. Anscheinend spähten die beiden lediglich in den Wald jenseits des offenen Graslandes und hielten dort nach etwas Ausschau. Gleichzeitig verrieten ihre Bewegungen keinerlei Eile. Ihr Verhalten – sie gingen gemächlich und blieben zwischendurch immer wieder lange stehen, um plötzlich entschlossen weiterzuschreiten –, weckte in LaFollet immer mehr die Befürchtung, die beiden könnten durch ihre Erlebnisse auf Hell in den Wahnsinn getrieben worden sein.
»Sind Sie sicher, dass Sie mit denen sprechen wollen, Mylady?«, fragte er schließlich und versuchte dabei erfolglos, sich seine Zweifel nicht anmerken zu lassen.
»Ich denke schon«, antwortete Honor gelassen.
»Aber … sie wirken so … so …« LaFollet verstummte, da er nicht das richtige Wort fand, und Honor lachte.
»Umnachtet? Nicht bei Sinnen? Übergeschnappt?«, schlug sie spöttisch vor, und er lächelte säuerlich.
»Ja, eigentlich schon, Mylady«, gab er zu. »Ich meine, sehen Sie sich die doch einmal an. Wenn sie von uns wüssten und nach uns suchen würden, wäre es etwas anderes, aber sie können nichts von uns wissen. Und wenn es doch so wäre, dann wären die beiden das unfähigste Kundschafterpaar, das ich je gesehen habe! Laufen unbekümmert herum, leicht zu entdecken für den Prüfer und jeden anderen und stieren in die Wälder …« Er schüttelte den Kopf.
»Da haben Sie vielleicht nicht Unrecht, Andrew. Gewiss kann der Aufenthalt auf Hell jemandem zumindest leichte psychische Störungen bescheren. Aber ich glaube nicht, dass die beiden so sehr übergeschnappt sind, wie Sie offenbar glauben. Und das ist ohnehin nicht der Grund, weshalb ich mir die beiden ausgesucht habe. Sehen Sie selbst«, forderte sie ihn auf, rollte sich auf die Seite, reichte ihm das Fernglas und schloss mit einer weitausholenden Armbewegung den gesamten gerodeten Bereich ein. »Alle anderen Menschen dort sind in Gruppen zu wenigstens vier oder fünf, und offenbar führt jeder eine bestimmte Aufgabe durch.«
LaFollet brauchte nicht durch das Fernglas zu blicken; das sah er mit bloßem Auge. Zwei Gruppen aus zehn bis fünfzehn Gefangenen trugen Äste, Ranken und große Farnwedel aus dem Dschungel herbei, während vier andere, die mit langen, schlanken Speeren bewaffnet waren, sie wachsam beschützten. Eine andere Gruppe schnitt mit groben Holzsensen das Gras am Zaun, ebenfalls von einigen Speerkämpfern behütet. Andere verrichteten weitere Arbeiten, doch womit genau sie zugange waren, ließ sich aus der Ferne nicht genau erkennen. Nur das Paar, das Lady Harrington ausgesucht hatte, war offensichtlich nicht mit Arbeit beschäftigt.
»Nicht nur, dass die beiden allein sind«, fuhr sie fort, »sie kommen auch in unsre Richtung.« Sie deutete auf eine Baumgruppe am Fuß des Hügels. »Meiner Ansicht nach könnten Sie und Jasper sie dort drüben abpassen, ohne dass irgendjemand anders Sie bemerkt. Dann bitten Sie sie, heraufzukommen und mit mir zu sprechen.«
»›Bitten‹!«, schnaubte
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