Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
LaFollet. Er schüttelte schicksalsergeben den Kopf. »Wie Sie wünschen, Mylady. Wie Sie wünschen.«
Honor hatte sich auf eine dicke, knorrige Wurzel niedergelassen und lehnte, mit Nimitz auf dem Schoß, am dazugehörigen Baum, während die beiden Gefangenen zu ihr gebracht wurden. Noch waren sie zu weit entfernt, um ihre Emotionen deutlich zu empfangen, doch ihre Bewegungen verrieten Unsicherheit und Misstrauen. Sie hielten sich dicht beieinander und blickten regelmäßig nach hinten. Der Mann hatte den Arm beschützend um die Frau gelegt, was angesichts des Größenunterschieds ein wenig albern gewirkt haben könnte, hätte er nicht so erbittert dreingeblickt.
Ihnen folgte Jasper Mayhew, der zwar das Pulsergewehr von der Schulter genommen hatte, die Mündung aber demonstrativ nicht auf die ›Gäste‹ richtete. Andrew LaFollet ging als Letzter. Der Major trug die Speere der Gefangenen. Offenbar hatte er die beiden Waffen zusammengebunden, damit er sie mit einer Hand tragen konnte; in der anderen hielt er den gezogenen Pulser. Die Speere hatten lange, blattförmige Spitzen aus einem weißen, milchig aussehenden Stein. Beide Gefangenen trugen am Gürtel eine leere Messerscheide. Als Honor genauer hinsah, bemerkte sie, dass LaFollet sich zwei Messer oder Dolche, ebenfalls aus weißem Stein, in den Gürtel geschoben hatte.
Als sie näher kamen, regte sich Nimitz unruhig auf ihrem Schoß. Honor konzentrierte sich auf ihn und zuckte zusammen; ihr war, als hätte man ihr einen Schlag ins Gesicht versetzt. Eine starke Furcht, wie die Gefangenen sie empfanden, hatte sie selbst oft genug verspürt, aber noch nie eine solch erbitterte, schreckliche Wut. So heftig war der Gefühlsansturm, dass sie fast glaubte, die beiden müssten spontan in Flammen aufgehen oder sich in einem selbstmörderischen Berserkerangriff auf Mayhew und LaFollet stürzen, doch dazu hatten sich die Fremden zu gut unter Kontrolle. Vielleicht gab es außer Selbstdisziplin noch einen anderen Grund für ihre enorme Beherrschung, denn trotz des sengenden Zorns spürte Honor schwach noch etwas anderes. Vielleicht Unsicherheit. Oder Neugierde. Etwas, das den beiden jedenfalls zuflüsterte, ihre Gefangennahme müsse nicht unbedingt das bedeuten, was sie zuallererst angenommen hatten.
Sie gelangten an die Hügelkuppe und blieben stocksteif stehen, als sie Honor und Nimitz sahen. Die beiden tauschten einen Blick, dann fragte die Frau etwas, zu leise, als dass Honor es verstanden hätte, doch der Funke der Neugierde flammte heller auf. Honor begriff, dass Nimitz ihn entfacht hatte. Mayhew antwortete ihr in höflichem, aber nachdrücklichem Ton. Die beiden setzten sich wieder in Bewegung und schritten auf Honor zu.
Sie nahm Nimitz in die Armbeuge und erhob sich. Als die beiden unter die Äste des Baumes traten, durchbohrte Honor erneut ein emotionaler Stoß aus Erschrecken und Neugier, der noch stärker war als zuvor. Die beiden blieben stehen und maßen sie aus drei, vier Metern Entfernung mit Blicken. Die Frau löste sich aus ihrer Erstarrung und neigte den Kopf zur Seite.
»Wer sind Sie?«, fragte sie leise und verwundert.
Schon seit den frühsten Tagen der Diaspora war Standardenglisch die interstellare Sprache der Menschheit. Diese Entwicklung war fast unausweichlich gewesen, denn schon zuvor war Englisch die internationale Sprache von Alterde gewesen und auf die anderen Himmelskörper des Sol-Systems getragen worden, bevor sie zu den Sternen gelangte. Die Bürger vieler Welten und ganzer Sternnationen sprachen unter sich andere Sprachen – im Anderman-Reich zum Beispiel Deutsch, auf San Martin Spanisch, auf New Dijon Französisch, auf Ki-Rin Chinesisch und auf Nagasaki Japanisch; Hebräisch sprach man in der Judaischen Liga. Jeder gebildete Mensch aber beherrschte zusätzlich Standardenglisch. Zum allergrößten Teil hatten das gedruckte Wort und die elektronische Aufzeichnung die Aussprache auf allen Welten genügend bewahrt, dass Standardenglisch noch immer als wirklich universelles Verständigungsmittel gelten durfte. Trotzdem musste Honor sich sehr konzentrieren, um die Frau verstehen zu können, denn sie sprach außerordentlich undeutlich. Einen Akzent wie diesen hatte Honor noch nie gehört, und sie fragte sich, was die Muttersprache der Unbekannten sein mochte. Andererseits durfte sie sich davon nicht ablenken lassen. Sie richtete sich zu voller Größe auf und begrüßte die Neuankömmlinge mit einem Nicken.
»Mein Name ist
Weitere Kostenlose Bücher