Honor Harrington Bd. 16
suspekt. Nun zweifelte er nicht mehr.
»Was machen wir nun?«, flüsterte er ihr ins Ohr. Ein letzter Rest seines starren moralischen Kodex schaltete sich ein, und er versuchte, ihr einen Ausweg zu bieten. »Wenn wir nicht vorsichtig sind, könnte es ... du weißt schon. Ernst werden.«
Thandi schob ihm die Hände in die Achselgruben und hob ihn von sich. Nicht weit, gerade weit genug, dass sie sein Gesicht klar sehen konnte. Ihre Mühelosigkeit beschwichtigte seine Reue zu einem sehr großen Teil. Was Thandi auch immer vom hilflosen Seelchen fantasierte, dem das Mieder zerrissen wurde - gut, sagte sich Victor, ich auch -, hier sah er wieder, dass jeder Mann, der tatsächlich versuchte, diese Frau zu vergewaltigen, großes Glück hätte, wenn sie ihn nur verstümmelte.
Seine Gedanken mussten sich auf seinem Gesicht gezeigt haben. Thandi lachte leise, und ein Lächeln breitete sich über ihr Gesicht aus. Dieses besondere Lächeln. Das Lächeln, das zusammen mit ihrer Stimme den Körper der Göttin in den Schatten stellte.
»Sei nicht albern, Victor. Wir haben es beide genossen - sehr wen schert das Übrige? Gut, ein bisschen abgedreht ist es sicher. Na und? Ich wiege einhundertvierzehn Kilogramm ...«
Victor zog eine gequälte Miene. Thandi lachte laut auf.
»Gut, dass ich es unten mag, was? Und wenn ich das selbst sagen darf, viel Speck ist nicht dabei. Ich habe einmal mehr als mein doppeltes Körpergewicht - zweihundertundfünfzig Kilo sauber und mit einem Ruck gestemmt. Ganz zu schweigen davon, dass ich in vier verschiedenen Kampfsportarten den schwarzen Gürtel besitze; ich bin Experte mit den meisten stumpfen und scharfen Nahkampfwaffen; außerdem Meisterschützin mit jeder Projektil- oder Energiewaffe. Also gönne deinem zarten Gewissen ein wenig Ruhe, ja?«
Das Lächeln breitete sich in ihre blassen, haselnussbraunen Augen aus. Victor war verloren, und er wusste es.
»Was den Ernst angeht«, fuhr sie fort, »so kommt dieser Hinweis für mich etwa sechs Stunden zu spät.«
Sie hielt das Lächeln und die Wärme in ihrem Blick, doch sie gestattete Victor, den Ausgang zu finden, wenn er wollte.
Doch das war nicht der Fall - und er freute sich darüber, dass er es nicht einmal in Erwägung zog. Vielleicht war er eine Missgeburt und ein Perversling, allerdings vermutete er allmählich, dass Thandis fröhlich-amoralische Sichtweise der Angelegenheit vermutlich größerer geistiger Gesundheit entsprang als die seine. Auf jeden Fall war er nicht unehrlich. Niemals.
»Ich bin verrückt nach dir«, sagte er ruhig. »Ich kann nicht sagen, wie es mit uns weitergehen soll, aber ... so ist es eben. Verrückt oder nicht. So ist es.«
Ihre Augen waren feucht. »Danke, Victor«, flüsterte sie. »Nur dafür, dass du es gesagt hast. Ja, es ist unglaublich unvernünftig. Aber das ist mir egal. Zum ersten Mal in meinem Leben tue ich etwas nur deswegen, weil ich es will.«
Sie ließ ihn herunter, und der lange Kuss, der folgte, verlief sehr ruhig. In den letzten Stunden hatten sie beide genug Leidenschaft und Lust bewiesen, um auch so etwas zuzulassen. Einfach ... Ruhe. Ein Versprechen und kein Lohn.
Schließlich störte sie jemand, indem er an die Schlafzimmertür klopfte. Die höfliche Geste war allerdings nicht mehr als eine Geste, denn keine zwei Sekunden später platzte Ginny herein.
»Victor, du siehst besser aus denn je«, verkündete sie. »Thandi, du bist ein Juwel. Und jetzt müsst ihr beiden euch wohl leider aufmachen. Die ganze Sache fällt auseinander.«
Victor war aufgestanden und kleidete sich bereits an. Thandi ebenfalls.
»Was ist los?«
»Die Station hat gerade ein Signal von der Felicia bekommen. Euer Versuch, Templetons Leute hinzuhalten, hat nicht funktioniert. Sie sagen, sie sprengen das Schiff, wenn wir die Prinzessin nicht binnen zwei Stunden hinüberbringen. Die Erklärung ging an jeden Nachrichtensender auf ganz Erewhon, sollte ich wohl hinzufügen.«
Victor schürzte die Lippen. »Sie sind schneller, als ich erwartet habe.« Er sah Thandi schuldbewusst an. »Wahrscheinlich hätten wir lieber nicht...«
»Sprich den Satz zu Ende, und du bist ein toter Mann«, knurrte Thandi.
»Und ich werfe deine Leiche den Aasfressern vor«, schloss sich Ginny ihr augenblicklich an. »Ich habe gehört, hier auf Erewhon haben sie ziemlich furchtbare. Irgendeine Art Riesenwurm - eher schon ein Riesentausendfüßler -, der sich erst mal in deine Eingeweide eingräbt und dann nach außen
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