Honor Harrington Bd. 16
hatte die Tracht Prügel gesorgt, die ihm danach von seinem Vater verabreicht worden war. Die inoffizielle Schule, welche die Kinder von Erewhons bedeutenden Familien durchliefen, war sehr streng, vor allem, wenn man bedenkt, dass sie sich nicht mit den Trivialitäten abgab, von denen die meisten Eliten der Galaxis besessen waren.
Sittsamkeit war eine dieser Trivialitäten, wie Naomi augenblicklich demonstrierte.
»Also, welchen von den Clowns soll ich verführen?«, fragte sie. Das fast unmerkliche Lächeln auf ihrem Gesicht deutete an, dass sie die Frage zum Teil scherzhaft meinte.
Zum Teil.
»Ich nehme an, deine normalen Bedingungen gelten?«
»Aber ganz sicher. Felsblöcke und harte Wände hin oder her, so verzweifelt ist Erewhon dann doch nicht. Ich bestehe keineswegs auf Adonis oder Venus, doch der oder die Verführte muss schon eine gewisse Anziehung auf mich ausüben.«
Imbesi gestattete sich ein mildes Lächeln. Naomis freizügige Art ärgerte die meisten Familienmitglieder, aber ihn nicht. Wahrscheinlich, weil er das anerkannte Oberhaupt der Familie war und es sich nicht leisten konnte, auch nur einen Aktivposten zu vergeuden. »In diesem Fall vermute ich, dass du eine sehr züchtige Beerdigung feiern wirst - oder auch nicht. Wenn es hier einen Mann gibt, den zu verführen sich lohnt und mit dem du gern schlafen würdest, so fällt mir jedenfalls keiner ein. Übrigens auch keine Frau.«
Naomis Augen schweiften kurz über die Menge. Als Imbesi sah, wohin sie blickte, schüttelte er sehr knapp - aber auch sehr abrupt - den Kopf.
»Was immer du tust, Liebes, halt dich um Himmels willen von Luiz Rozsak fern. Ist mir egal, wie gut er aussieht. Da könntest du gleich mit einer Kobra ins Bett steigen.«
Naomi riss ganz leicht die Augen auf. »Bist du nicht ein wenig schroff, Onkel? Ich habe den Eindruck, dass er nicht so gemein ist wie die übrigen Solarier - längst nicht so sehr.«
»Wer sagt hier etwas von Gemeinheit? Eine Kobra ist nicht gemein. Sie ist tödlich.« Jeder scherzhafte Beiklang verließ seine Stimme. »Nimm mein Wort darauf, junge Dame. Halte dich von Luiz Rozsak fern. Das ist ein Befehl.«
»Okay, okay. Du brauchst mir gar nicht so paterfamilias zu kommen.«
Ihre Augen glitten langsam über den Rest der kleinen Menge, die sich auf der Empore versammelt hatte, und verengten sich dabei immer mehr. »Igitt. Ich glaube, du hast Recht. Ich könnte gleich einem Kloster beitreten, dann hätte ich es wenigstens hinter mir.«
Eine leichte Bewegung am Rand - ein Strudel in der Menge, die die Empore umgab - zog ihren Blick auf sich. Ihre Augen weiteten sich wieder. Dann entdeckte sie eine weitere Strömung am beinahe genau gegenüberliegenden Rand und schaute dorthin.
»Aber was ist denn das? Zwei sehr interessant aussehende Herren tauchen plötzlich auf. Bitte, Onkel - sag mir nicht, dass sie ebenfalls tabu sind.«
Imbesi blickte erst in die eine und dann in die andere Richtung. Nun musste er wirklich mit sich kämpfen, um nicht zu lächeln. Oder genauer gesagt, um nicht breit zu grinsen.
»Du hast Glück, mein kleiner Vamp. Zu deiner Linken siehst du Anton Zilwicki, Captain auf Halbsold der manticoranischen Navy. Ich würde zugeben, dass du erheblich besser aussiehst als seine Freundin - und du bist auch wesentlich jünger -, aber dein gesamtes Gespartes kommt nicht gegen ihr
Klimpergeld an. Außerdem soll er allen Berichten zufolge die Treue in Person sein.«
Er blickte in die andere Richtung und kniff sie ein wenig zusammen. »Auf der anderen Seite ... hm. Nicht sicher. Er heißt Victor Cachat, und wir wissen nicht viel über ihn. Eindeutig ist er Lieblingssonderagent des Direktors der havenitischen Bundespolizei. Das ist Kevin Usher, und folglich muss Cachat reichlich gut sein, so jung, wie er ist. Andererseits ...«
Seine Warnung brauchte er gar nicht auszusprechen. Naomi hatte bereits die Frau erblickt, die Cachat folgte. Sehr eng übrigens.
»Ach, das Leben ist einfach ungerecht. Wie soll ich da mithalten?«
Imbesi setzte zu einer spöttischen Entgegnung an, doch die Spitze starb schon während der Geburt. Nun, da er darüber nachdachte ...
»Kevin Usher ist wirklich gut, Naomi.«
Walter sprach noch leiser als zuvor, obwohl er davon ausging, dass die Verzerrer, die Naomi und er bei sich trugen, ihre Unterhaltung schon auf einen Meter Abstand unbelauschbar machten. Auch nahm er nicht an, dass irgendeine der Machtgruppen, die auf diesem öffentlichen Ereignis vertreten waren,
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