Honor Harrington: Das Mesa-Komplott: Roman (German Edition)
regelrecht nach den Herzen der Anwesenden. Auch Honor Alexander-Harrington tastete und griff nach dem Geistesleuchten ihres Gemahls, der dicht neben ihr stand, und nach Emilys Geistesleuchten, deren Lebenserhaltungssessel am Ende der vordersten Reihe auf der Seite der Braut stand. Dann tastete sich Honor behutsam weiter, fühlte das Geistesleuchten ihrer Mutter, spürte deren Freude. Honor tastete nach dem Geistesleuchten ihres Vaters, fühlte den Schmerz, der immer noch in ihm brannte … doch sie spürte auch, welch heilende Wirkung die zeitlosen Worte der Freude hatten. Sogar bei sich selbst spürte Honor diese heilende Wirkung der Worte.
Die Kathedrale war bis zum letzten Platz besetzt, nein, sie war sogar fast bis zum Bersten gefüllt: nicht nur gefüllt mit Menschen, sondern auch mit deren Gefühlen und Gedanken, Hoffnungen und Freude. All das strömte auf Honor jetzt ein, umspülte sie wie eine gewaltige, brausende See. Doch es war eine See aus Licht, aus Energie, aus Entschlossenheit und Zielstrebigkeit, Hoffnung, gegründet auf das Versprechen, das hier gegeben wurde. Honor sog die Gefühle auf wie wärmendes Sonnenlicht und wünschte sich dabei sehnlichst, jeder in der Kathedrale könnte schmecken und wissen, was sie in diesem Moment schmeckte und wusste.
Es war eine schlichte Zeremonie, so wichtig der Anlass auch war und so geschickt die beiden Glaubensbekenntnisse miteinander in Einklang gebracht wurden. Zwar war es O’Reilly, der offiziell verkündete, Rivka und Roger seien nun Mann und Frau. Doch dafür kniete sich Telmachi vor Roger Winton auf den Boden und stellte das Glas auf den Teppich, das bei einer traditionellen jüdischen Trauungszeremonie der Bräutigam zur Erinnerung an den zu Jerusalem verwüsteten Tempel zerbrechen musste. Der Kronprinz griff nach Rivkas Hand – der Hand, die nun vom Ehering geziert wurde – und trat mit dem Absatz fest auf das Glas. Klar und deutlich hallte das Klirren der Scherben in der ganzen Kathedrale wider. Dann blickte Roger seiner Braut fest in die Augen.
»Jerusalem, wollte ich deiner vergessen«, rezitierte er die noch älteren Zeilen leise, aber doch so deutlich, dass jedes seiner Worte überall in der Kathedrale zu verstehen war, »soll verdorren meine Rechte. Es klebe mir die Zunge am Gaumen, sollte ich deiner nimmer gedenken, wollte ich nicht erheben Jerusalem über all meine Freude.«
Er streckte die Hand aus und umschloss mit beiden Händen Rivkas Gesicht. Er beugte sich vor, und dann, endlich, küssten sich Braut und Bräutigam.
»Also, ich habe ja schon so manche bemerkenswerte Hochzeit erlebt«, meinte Jacques Benton-Ramirez y Chou, »aber diese hier … «
Den Champagnerkelch in der Hand deutete er auf die Menschenmenge, die sich festlich gekleidet und schmuckbehangen auf dem Gelände von Mount Royal Palace erging. Es galten strenge Sicherheitsvorkehrungen; überall waren Baumkatzen zu sehen. Viele hockten auf den Schultern von Hochzeitsgästen, andere wieder in den Zweigen der Bäume, auf Lauben und Dächern der Zierpavillons im weitläufigen Park. Hin und wieder waren die ’Katzen sogar zu hören, trotz des Stimmengewirrs und der Musik des Orchesters. Die ’Katzen bliekten einander zu und genossen sichtlich das Geistesleuchten der Menschen um sie herum. Es schien, als berauschten sich die ’Katzen daran wie an köstlichem Wein. Dennoch verriet die Körpersprache der ’Katzen Wachsamkeit. Bewaffnete Flugwagen und Stingships sicherten den Luftraum, und Sicherheitskräfte aus einem halben Dutzend verschiedener Sternnationen behielten die ’Katzen im Auge so wie weiland Bergmänner ihre Kanarienvögel.
Keinem der geladenen Gäste hätten die allgegenwärtigen Sicherheitskräfte entgehen können. Die weitaus meisten Gäste aber waren derartige Vorkehrungen gewohnt. Gewiss, die Wächter hier mussten auf mehr Anzeichen einer Bedrohung achten als je zuvor. Aber Bedrohungen hatte es schon immer gegeben und würde es auch immer geben. Sich davon den Tag verderben zu lassen, dazu war keiner der Anwesenden bereit.
Endlich war es Honor gelungen, sich davonzustehlen und wenigstens einige wenige kostbare Minuten mit ihrem Onkel und ihrer Familie zu verbringen. Sie hatte eine Rede gehalten, wie es von der Brautführerin erwartet wurde. Dank der tatkräftigen Mithilfe eines ganzen Dutzends von Dame Aretheas Mitarbeitern hatte Honor es auch geschafft, die Unzahl an Hochzeitsgeschenken für Rivka und Roger angemessen unterzubringen und zu beschriften. Es
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