Honor Harrington: Im Donner der Schlacht: Roman (German Edition)
Honor. Sie wusste, sie würde zu einer List greifen müssen, und genau das hatte sie getan. Sie verspürte sie ein klein wenig, allerdings durch Trauer getrübten Triumph, als sie hinter Faith den hochgewachsenen Waffenträger mit dem kastanienbraunen Haar erspähte. Für einen Graysoniten war Corporal Micah LaFollet wirklich erstaunlich groß. Seine Gardistenausbildung hatte er erst vor weniger als zwei T-Jahren abgeschlossen. Pedanten hätten kritisiert, damit sei er für seine neue Aufgabe noch ein wenig arg jung. Doch Faith kannte Andrew und Miranda LaFollets jüngeren Bruder schon ihr ganzes Leben lang. Micah hatte ihren Schutzpanzer längst durchdrungen. Tatsächlich hatte Faith seit dem Yawata-Schlag fast jeden Tag damit verbracht, sich an seiner Schulter über den Tod seines Bruders und seiner Schwester auszuweinen.
Und genau das braucht auch Micah , dachte Honor nun. Er liebt Faith und James geradezu abgöttisch. Ich glaube nicht, dass ich eine Verwendung für ihn hätte finden können, die ihm mehr bedeuten könnte.
Außer einer vielleicht , spann Honor den Gedanken weiter, als ihr Blick auf die junge Frau fiel, die den Kontragrav-Doppelkinderwagen schob.
Eine Eiltherapie hatte Lindsey Phillips’ gebrochenes Schlüsselbein heilen lassen. Sie war jedoch ebenso wenig immun wie alle anderen gegen die Verluste, die Honors Familie erlitten hatte. Auch über sie hatte sich der Schatten der Trauer gelegt. Sie ging damit um, indem sie sich noch mehr als sonst um Raoul und Katherine kümmerte. Dafür war Honor dankbar. Dennoch war es der hochgewachsene junge Waffenträger hinter dem Kindermädchen, an dem ihr Blick hängen blieb.
Lieutenant Vincent Clinkscales war die unmögliche Aufgabe zugekommen, Andrew LaFollet als Raoul Alfred Alistair Alexander-Harringtons persönlichen Waffenträger zu ersetzen. Wirklich ersetzen konnte Andrew natürlich niemand. So zu empfinden, das wusste Honor, war unfair. Nichtsdestotrotz war es nun einmal die Wahrheit. Andrew und sie hatten gemeinsam viel durchgestanden. In vielerlei Hinsicht hätte Honor es vorgezogen, wenn Micah in die Fußstapfen seines älteren Bruders getreten wäre. Aber dafür war Micah einfach zu jung und zu unerfahren. Es hätte Honor nicht aufhalten können, aber das Konklave der Gutsherren hätte allein bei einem solchen Vorschlag bereits einen kollektiven Tobsuchtsanfall bekommen. Und, wie sich Honor eingestehen musste, durchaus zu recht.
Deswegen hatte sie Clinkscales vom Palastschutz des Protectors abgeworben. Vincent, ein Neffe Howard Clinkscales und der ältere Bruder von Commander Carson Clinkscales, war einige Jahre älter als Micah. Er war zu alt, um für etwas anderes als eine Prolong-Behandlung erster Generation in Frage zu kommen. Daher würde er in wenigen Jahren für Honors Gutsherren-Kollegen auch hinreichend ›reif‹ wirken. Und offiziell gehörte der Clinkscales-Clan zum Harrington-Clan. Also war Vincent rein rechtlich betrachtet Honors Neffe. Gegen diese Qualifikation konnte nicht einmal der hartnäckigste Gutsherr etwas einwenden. Außerdem hatte Vincent sowohl seine Fähigkeiten als auch seine Treue bereits unter Beweis gestellt.
Gut, ich kenne ihn immer noch nicht so gut, wie ich Andrew gekannt habe. Aber das gilt doch auch für jeden anderen Angehörigen meiner Garde , dachte sie traurig. Sie sind alle tot – jeder meiner ursprünglichen Waffenträger!
Ach, lass die Heulerei, Honor! , schalte sie sich innerlich. Vincent ist ein prächtiger junger Bursche, sonst hättest du ihn doch gar nicht erst ausgewählt! Sicher, er ist nicht Andrew. Aber wird es nicht langsam Zeit, nicht mehr zu vergleichen und Vincent einfach den sein zu lassen, der er sein muss , um sich um Raoul zu kümmern?
Wie üblich kauerte Nimitz auf seiner Sitzstange neben ihr. Nun stieß er einen Laut aus, halb Mitgefühl, halb Schelte. Honor lächelte ihn an.
»Ich arbeite ja daran, Stinker«, sagte sie leise und tippte ihrem Gefährten mit dem Zeigefinger sanft auf die Nasenspitze, »ich arbeite ja daran!«
Mit einer Echthand griff er nach ihrem Finger und drückte ihn. Honor schmeckte Nimitz’ Zustimmung. Dann blickte sie wieder zu der Gruppe hinüber, die sich allmählich näherte. Sie ertappte sich dabei, unwillkürlich durchzuzählen, und lächelte in sich hinein.
Das ist ja wirklich, als würde man eine Armee beim Aufmarschieren beobachten , dachte sie. Zu schade, dass Mac nicht dabei ist, sonst hätte Emily genau ein Dutzend Gefolgsleute hier! Und
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