Honors Mission: Honor Harrington, Bd. 25. Roman
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Ungeduldig strich sich Präsidentin Eloise Pritchart eine platinblonde Strähne aus der Stirn, als sie mit großen Schritten die Kommandozentrale im Untergeschoss betrat. Im Gegensatz zu ihrem sonstigen, dezenteleganten Auftreten trug sie einen Bademantel über ihrem Nachthemd, und ihr Gesicht war gänzlich ungeschminkt.
Sheila Thiessen, die Leiterin ihrer persönlichen Leibwache, blieb dicht hinter ihr. Im Gegensatz zur Präsidentin hatte sich Thiessen noch im Dienst befunden, als der Alarm ausgelöst wurde. Na gut, nicht ganz im Dienst, denn eigentlich hatte ihre Schicht bereits vor fünf Stunden geendet. Aber sie hatte sich immer noch vor Ort befunden, schließlich galt es, einen schier unendlichen Stapel Papierkram abzuarbeiten. Deswegen war Thiessen so vollständig und ordnungsgemäß gekleidet und so gelassen wie immer.
Und trotzdem, ging es ihr durch den Kopf, schaffte es die Präsidentin sogar dann, wenn sie nur hastig etwas übergeworfen hatte, ihre Leibwächterin regelrecht schäbig wirken zu lassen. Eigentlich ließ die Präsidentin jeden in ihrer Nähe plötzlich ein wenig kleiner und unbedeutender wirken, vor allem in Krisenzeiten. Das lag nicht etwa an etwas, das Pritchart bewusst tat; es war einfach die Folge ihrer genetischen Veranlagung, ihrer Erfahrung und der ihr eigenen Ausstrahlung. Man hatte sie gerade erst frisch aus dem Schlaf gerissen - soweit man überhaupt von echtem Schlaf sprechen konnte, nach diesem doppelten Schlag: Javier Giscard war tot, und die Republik Haven hatte bei der Schlacht von Manticore gewaltige Verluste hinnehmen müssen. In den bemerkenswerten Topasaugen der Präsidentin war stets zu erkennen, wie sehr das Entsetzen sie gepackt hielt und welche Trauer sie verspürte. Doch selbst hier und jetzt hüllte sie ihre unerschütterliche Entschlossenheit ein wie ein schützender Mantel.
Aber vielleicht bilde ich mir das ja auch bloß ein, sagte sich Thiessen. Vielleicht ist es nur für mich so wichtig, dass sie unerschütterlich ist. Vor allem jetzt.
Rasch trat Pritchart an den bequemen Sessel vor ihrer persönlichen Kommando- und Kommunikationskonsole. Kurz nickte sie den beiden Angehörigen ihres Kabinetts zu, die es bislang geschafft hatten, sich ebenfalls hier einzufinden - Tony Nesbitt, ihr Handelsminister, und Justizminister Denis LePic -, dann ließ sie sich in ihren Sessel sinken. Automatisch passte sich das Möbelstück ihren Körperkonturen an.
Nesbitt wirkte ebenso angespannt und besorgt wie LePic. Beide hatten lange gearbeitet - das war auch der einzige Grund, weswegen sie so rasch in die Kontrollzentrale hatten kommen können. Beide verströmten die Aura echter Erschöpfung nach einem langen Arbeitstag. Doch das erklärte nicht, warum bei beiden die Schultern ebenso angespannt waren wie die Gesichtszüge und warum sie derart besorgt wirkten. Und sie waren beileibe nicht die Einzigen, denen diese Anspannung anzumerken war. Sowohl die Uniformträger als auch die zivilen Auswertungsexperten und ihre Assistenten konzentrierten sich in voller Unruhe auf ihre jeweiligen Pflichten. Es hing etwas in der Luft - etwas, das fast schon an Furcht grenzte -, und die Leibwächterabteilung unter Thiessens Kommando versuchte nach Kräften, sich der Situation anzupassen.
Nicht, dass diese Anspannung sie sonderlich überraschte. Mit nagender Besorgnis hatte die gesamte Republik Haven beinahe ein halbes T-Jahr genau diesen Moment erwartet.
Pritchart begrüßte ihre Kabinettskollegen nicht mit Namen, sondern beschränkte sich auf ein knappes Nicken und lächelte ihnen kurz zu. Doch alleine schon ihre Anwesenheit schien die Besorgnis ihrer Kollegen merklich zu lindern. Ja, Thiessen erkannte deutlich, wie sie sich ein wenig entspannten. Die gleiche Entspannung erfasste auch alle anderen im Raum, als die Präsidentin Platz nahm, sich dann zurücklehnte und die Schultern straffte. Schließlich richtete sie ihre Topasaugen auf den Mann in Uniform, der sie vom Smartwand-Display am anderen Ende des großen, kühlen Raumes aus anblickte.
»Also, Thomas«, ergriff sie das Wort und klang dabei unvorstellbar gefasst. »Worum geht es denn?«
Admiral Thomas Theisman, Kriegsminister der Republik Haven und Chef des Admiralstabs der Republic of Haven Navy, blickte sie an. Er befand sich derzeit in seiner eigenen Kontrollzentrale unter dem neu aufgebauten Oktagon, in einigen Kilometern Entfernung. Angesichts der späten Stunde vermutete Thiessen, dass auch Theisman noch vor sehr kurzer Zeit im
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