Hope - ein weihnachtlicher Streifzug (German Edition)
erinnern.
Nicole im Talar mit dem Collegediplom in der Hand – was waren sie stolz gewesen!
Wieder ein weißes Kleid, eine bezaubernd schöne Braut, wie ihre Mutter Jahre zuvor.
Eine Aufnahme aus der Klinik, mit einem winzigen Baby im Arm. Spöttisch dachte Leon an seine Midlife-Crisis, die ihn damals heimsuchte. Er – ein Großvater! Dafür war er doch viel zu jung!
Maya trug ihr Los mit bedeutend mehr Stolz. Auch wenn er geschworen hätte, dass sie heimlich ihr Haar färben ließ. Selbstverständlich erwähnte er das nie – schließlich war er ein Gentleman.
Morgen würden Tom und Nicole zum Essen kommen. Leon wusste bereits aus sicherer Quelle, dass sie eine frohe Botschaft als Weihnachtsgabe mitbringen würden. Nein, kein eigenes Baby, diese Möglichkeit gehörte längst der Vergangenheit an. Ein weiterer Urenkel kündigte sich an. »Wie die Zeit vergeht«, murmelte er und strich behutsam über Mayas ewig strahlendes Gesicht anlässlich ihrer eigenen Hochzeit. Dann nahm er den Fotorahmen und küsste die glatte Oberfläche des Glases.
So, wie an jedem Abend, bevor er sich zur Ruhe begab.
Sein nächster Ausflug galt der Küche. Gewissenhaft überprüfte er, dass der Herd tatsächlich ausgeschaltet war.
Maya litt unter der ständigen Angst, eines Tages abzubrennen. Dabei war noch nie eine der Herdplatten unbeabsichtigt in Betrieb gewesen. Doch Leon übte sich in Nachsicht, so wie bei all ihren kleinen Marotten.
Was kostete ihn der zusätzliche Gang, wenn es seine Frau beruhigte?
Danach begab er sich ins Bad.
Er betrachtete sich im Spiegel, das weiße Haar, das früher so dunkel gewesen war, die unzähligen Runzeln, wo einst nur glatte Haut existierte. Und – etwas angewidert – die grauen Härchen, die aus seinen plötzlich viel zu großen Ohren ragten.
Nun ja, nichts bleibt ewig jung, nicht wahr, alter Junge?
Einzig seine Augen waren unverändert geblieben. Auch wenn der umliegende Bereich in vielen Tausend Fältchen lag.
Ausgiebig bearbeitete er seine Zähne und ging danach unter die Dusche, so, wie er es seit mehr als neunzig Jahren hielt. Rüstig genug, um das Risiko noch immer zu wagen. Seine Haltung war aufrecht, der Rücken gerade. Das ewige, stetig beschwerlichere Treppensteigen machte sich bezahlt, davon war Leon überzeugt.
Wenig später trat er ins Schlafzimmer, entkleidete sich und zog seinen Pyjama an. Er legte sich ins Bett, eine Hand auf dem leeren Kopfkissen neben sich, so, wie er es seit knapp siebzig Jahren hielt.
Und wie seit so vielen Jahrzehnten spürte er ihre Wange. Fast ein Dreivierteljahrhundert, doch nicht länger als ein Wimpernschlag für eine ewige Liebe.
Behutsam streichelte er die glatte Oberfläche, fühlte ihre warme, zarte Haut, obwohl sie rein technisch gesehen seit über fünf Jahren nicht mehr anwesend war.
Es genügte, sie im Herzen zu tragen, damit sie ihn in Wahrheit nie verließ.
Nur die irdischen Schmerzen, die das Schicksal nach einem ausgedehnten, erfüllten Leben an seiner Seite für sie bereithielt, durfte sie irgendwann überwinden. Selten hatte Leon ihr etwas aufrichtiger gegönnt.
Es war schwer, sie gehen zu lassen, doch im Grunde änderte es nicht viel. Erstaunlich wenig, wenn er es recht bedachte.
»Ich liebe dich, Maya«, sagte er in die Stille des Raumes. So, wie er es seit neunundsechzig Jahren an jedem Abend vor dem Einschlafen tat.
Dann senkten sich seine Lider und kurz darauf schlummerte er ein. Die Lippen verzogen sich zu einem sanften Lächeln, als er ihre kleine Hand in seiner spürte.
So, wie in jeder Nacht, seit neunundsechzig Jahren ...
»Leon!«
Kaum hatte er sie gehört, schlug er die Augen auf. Maya lag neben ihm, ihre Hand in seiner.
»Was hast du, Liebling?«
Mit einem sanften Lächeln richtete sie sich auf und küsste seine Nasenspitze. »Es ist Zeit.«
Seine Augen wurden groß. »Oh! Endlich!«
Maya kicherte, Gott, sie war so schön. Ganz im Gegensatz zu ihm - leider.
Wie immer schien sie seine Gedanken lesen zu können. »Du bist eitel, Leon Storm!«
»Ein wenig«, brummte er, was ihr Kichern noch steigerte.
»Das ist aber nicht der Grund, weshalb ich dich holen darf«, bemerkte sie streng.
Unschuldig erwiderte er ihren Blick. »Was ich auch nie vermutet hätte, Maya. NIEMALS!«
Sie lachte. »Du bist unmöglich!«
»Mag sein«, räumte er ein. »Ich habe ausgehalten, so, wie es zu sein hat. Und dennoch bin ich froh, dass es vorbei ist.«
Damit schlug er die Bettdecke zurück. Erst jetzt sah er seine
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