Hoppe
hätte, dass man auf dem Mond nicht weiß, wie man Eishockey spielt? Genauso ist es beim Lesen und Schreiben. Die einen sind drinnen, die anderen draußen.«
Natürlich hatte Jerome Chester nicht die geringste Ahnung, dass Hoppe in Kanada und Australien aufgewachsen war, von ihrer Eishockeykarriere ganz zu schweigen. Hoppes Vergangenheit war und blieb, wohin immer sie reiste und vor wem immer sie sprach, tabu. Zeit ihres Lebens vermied sie mit allen Mitteln, »den Joker meiner Kindheit und Jugend, diesen billigsten Trick von allen«, auszuspielen. Weshalb es nicht weiter verwundert, dass Jerome Chester an jenem Abend in Chicago Hoppes Einwand mit dem simplen Gegeneinwand erschlug, bei deutschen Dichtern sei eben auch der Sport »nichts als reine Metapher«. Dass er selbst jeden Wettbewerb auf dem Spielfeld hasste und Sport, welcher Art auch immer, von Grund auf verachtete, erfuhr Hoppe erst zwei Tage später, als Chester sie zu einer Stadtrundfahrt mit anschließendem Abendessen einlud. Denn er hatte sich, wider Erwarten, in seine Gesprächspartnerin verliebt.
Ob Hoppe zwei Tage später auf der erwähnten Stadtrundfahrt versucht hat, Jerome Chester beizubringen, wie man »richtig krönt«, sei dahingestellt. Auch wenn einiges darauf hindeutet, dass er, zumindest in Teilen, Modell für die Figur des Geschichtsprofessors und »Krönungsexperten« in Hoppes Roman
Johanna
gesessen haben dürfte, der zunächst wenig Sympathien auf sich versammelt, scheint es auf den zweiten Blick weit wahrscheinlicher, dass Hoppe Chester in der Figur des im Roman weit prominenteren »Doktor Peitsche« verewigt hat, dem Bild jenes so wunderbaren wie verquälten ewigen Assistenten, der »schönste und beste Schüler von allen, der vorn in der ersten Reihe sitzt, wie auf dem Kutschbock, und längst keine Lust mehr hat mitzuschreiben, weil (…) er sich vor seiner Handschrift fürchtet, die sich vom Lernen nicht trennen kann. Eine Linkshänderhandschrift aus Kränkung und Ehrgeiz«.
Allerdings wird es kaum Chester gewesen sein, der Hoppe auf den Stoff der heiligen Johanna aufmerksam machte. Er war auf die Entdeckungsgeschichte des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts spezialisiert und hielt das »sogenannte Mittelalter« für ein »insgesamt wenig ergiebiges und ohne besondere Not zu vernachlässigendes Forschungsgebiet«, für eine »aus nichts als nostalgischen Wünschen zusammengesetzte Projektionsfläche für rückwärts gewandte Schwärmer, die allzu gern hinter Aufklärung und zeitgenössische Wissenschaft zurückfallen, weil sie sich, den meisten Belletristen darin nicht unähnlich, dort offenbar sicherer fühlen«.
Hoppes lebenslange Neigung zu Helden, Heiligen, Rittern und Königen ist selbstverständlich rein emotionaler Natur und weit jenseits jedes ernsthaften Forschungsinteresses angesiedelt. Sie geht, nicht anders als ihre Liebe zu Kapitänen, Matrosen, Söldnern und Handwerkern, vermutlich sowohl auf ihre Vorliebe zum Kaspertheater als auf Rudimente ihrer so kurzen wie intensiven religiösen (katholischen) Früherziehung durch ihre Mutter (Maria Siedlatzek) und auf ihre offenbar daran anknüpfende und bis ins Erwachsenenalter anhaltende (gelegentlich naiv anmutende) Liebe zu Märchen, Sagen und Legenden aller Art zurück, in anderen Worten – zur einfachen, das Personal stets typisierenden Geschichte.
In Chicago, so erinnert sich der Direktor des dortigen Goethe-Instituts, gewann sie ihre Zuhörerschaft nicht etwa mit der Lektüre aus eigenen Texten, sondern, von JKChester nach literarischen Einflüssen befragt, mit einer so vitalen wie anschaulichen Nacherzählung der Sage vom Hamelner Rattenfänger, bei der sie besonderen Wert darauf legte, das Schicksal des blinden und des lahmen Kindes in den Vordergrund zu rücken, um mit den Worten zu schließen: »Und sage mir keiner (don’t tell me/fh), er kenne sie nicht, die beiden Kinder, die zurückbleiben mussten, weil sie nicht schnell genug waren, und die bis heute ratlos vor dem Hamelner Hochzeitshaus stehen und darauf warten, dass er eines Tages doch noch zurückkommt, dieser windige Spielmann, damit auch sie ihre Chance bekommen. Denn schließlich hat jeder ein Recht darauf, ein Recht auf die Chance, ein Recht auf die Reise, ein Recht darauf, ein Schiff zu besteigen und die Welt mit eigenen Augen zu sehen.«
JKChester soll an dieser Stelle gelacht haben, wobei er sich allerdings die Hand über den Mund gehalten habe, worauf Hoppe ihrerseits bemerkt haben soll,
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