Hoppe
Tür zukommen. Ich laufe zurück in unsere Kabine, ziehe auf der Schwelle die Schuhe aus (weil mein Erfindervater längst schläft), halte die Luft an und krieche, die Uhr auf dem Herzen, unter die Decke, es tickt und klopft und leuchtet im Dunkeln. Da liege ich jetzt und schreibe Briefe, bis Coxon und Sharp mich holen.«
Was Felicitas allerdings am meisten beschäftigt, ist die Tatsache, dass »keiner von ihnen auch nur die geringste Ahnung hat, woher sie kommen und wohin sie fahren. Das ganze Schiff eine Insel von Ahnungslosen, die Mannschaft ein leerer Kopf mit einem gefräßigen Mund, immer essen statt sprechen, und wenn sie trotzdem sprechen, dann nur übers Essen, während sie Decks wischen, Rost kratzen, Schrauben drehen, Gemüse schneiden, Wäsche waschen und Tische decken. Kein Held weit und breit. Weder der Stewart noch der Koch haben jemals den Namen Sharp gehört, von Dampier oder Coxon ganz zu schweigen. Nicht die geringste Lust auf Abenteuer, niemand hier weiß, was das ist, dass es das überhaupt gibt: Abenteuer.
Selbst Grushenko, der sich immer so wichtig tut in Sachen Scheibe und Kugel, hat nicht die geringste Ahnung davon, wer als Erster in der großen Menschheitsgeschichte unsere kleine Erde umsegelt hat, wer das schöne Südland entdeckt hat und wer tatsächlich die Kraft aufgebracht hat, das Gebirge zwischen dem Atlantischen und Pazifischen Ozean zu überqueren, um danach ein Loch in die Landschaft zu bohren und den Panamakanal zu bauen. Auf der Brücke sieht es nicht besser aus, Small und Kramer wissen doch gar nichts, nicht mal, auf welchem Schiff sie reisen und was es mit Adelheid auf sich hat.«
Wäre Hoppe der literarischen Adelheidlinie und ihren Piraten treu geblieben, wäre sie heute vermutlich eine erfolgreiche Verfasserin historischer Romane. Selbst Kai Rost, dem Hoppes Jugendwerk selbstverständlich unbekannt ist, erkennt »unter der Last Hoppe’scher Gedankenprosa« ein »leider vollkommen verschüttetes und verdrängtes Talent zu so plastischer wie unterhaltsamer Darstellung« und bedauert in seinen Ausführungen, dass Hoppe »ein ungeheures Potential« verschenke, indem sie sich »zügellos egozentrischen Selbstbetrachtungen« hingebe, eine »bei näherem Hinsehen zutiefst unliterarische Attitüde«, wie er hinzufügt, die immer wieder zur Ausschließung »williger Leser« führe, weshalb es kein Wunder sei, »dass Hoppe bis heute weder ins britische noch ins amerikanische Englisch übersetzt worden ist«.
Übrigens sah Hoppe sich auf späteren Lese- und Vortragsreisen mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder mit dem Vorwurf der Verantwortungslosigkeit konfrontiert, den sie auf sämtlichen Podien der Welt unermüdlich und mit dem ihr eigenen Sportsgeist parierte. Denn so vermeintlich »enigmatisch«, »hermetisch« und scheinbar abgewandt Hoppes Literatur, so zugewandt, verhandlungs- und kampfbereit war paradoxerweise ihre Autorin. Erinnert sei in diesem Zusammenhang, stellvertretend für viele andere Auftritte ähnlicher Art, an eine Begegnung im Goethe-Institut Chicago ( 2004 ), bei der der Moderator und Historiker Jerome Keith Chester Hoppe »ausgeklügelte Versteckspiele« (»all kinds of tricky hideaways«) zur Last legte.
Was Hoppe folgendermaßen konterte: »Sind Sie jemals, sagen wir mal mit einem Deutschen, der davon nicht die geringste Ahnung hat, bei einem amerikanischen Baseballspiel gewesen? Dann wissen Sie so gut wie ich, wie sehr der Deutsche sich dort, für den Fall, dass er höflich ist, nur zu Tode langweilt, für den Fall aber, dass er unhöflich ist, in einer groben Polemik verliert, weil das Spiel ihm ganz sinnlos erscheint, da er schlicht und einfach die Regeln nicht kennt. Dass er sich unwohl in seiner Haut fühlt, versteht sich von selbst, naturgemäß fühlt man sich immer unwohl, wenn man Begeisterung nicht teilen kann. Man landet im Off, weil man einfach nicht weiß, was gespielt wird. Das muss man als Gast allerdings aushalten können, als Gastgeber aber ebenso, denn, seien wir ehrlich, das Einzige, was Sie, den Gastgeber, rettet, ist die einfache Tatsache, dass das Stadion, in das Sie den Gast geführt haben, voll ist, womit Sie scheinbar die Mehrheit auf Ihrer Seite haben. Aber wäre ein Spiel wirklich schlechter, weil es, sagen wir, nur zehn Besucher hat, die allerdings alle die Regeln kennen und alle frenetisch begeistert sind? Sind wir nicht ständig ausgeschlossen? Hat man jemals von einem Sportler gehört, der sich dafür entschuldigt
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