Hoppe
in
Otto’s Bakery
/fh), und Deutsch ist eine schwere Sprache. Dabei riefen sie, was ich erst viel später verstand: Schützenfest ist Schürzenfest!« (Den Schürzenjägern hat Hoppe in
Paradiese, Übersee
in der Figur des Forschungsreisenden Doktor Stolizcka ein besonders eigenwilliges Denkmal gesetzt./fh)
Viktors erster Besuch in Hahndorf, der mit dem dort alljährlich gefeierten traditionellen Januarschützenfest zusammenfiel, hinterließ einen nachhaltigen Eindruck, eine Mischung aus Faszination und Schrecken: »Nach Feierabend zählte Felicitas in aller Ruhe ihr Geld und sagte mit großer Entschiedenheit: Das wird jetzt auf den Kopf gehauen! Dann nahm sie mich bei der Hand und führte mich durch Hahndorf. Es war offensichtlich, dass sie sich nicht nur bei
Otto’s
großer Beliebtheit erfreute. Sie kannte alle beim Namen, blieb an jeder Bude stehen, redete mit jedem und bestand darauf, mit mir Würste und Sauerkraut zu essen. Der Abend war schön und schrecklich zugleich, weil ich plötzlich begriff, woher wir in Wirklichkeit kommen, mein Onkel Viktor, mein Onkel Benno und ich. An einem einzigen Abend begriff ich alles, was mir meine Eltern bisher verschwiegen hatten: dass wir in Übersee nicht die Ersten sind, nicht ansässig, sondern bloß Gäste, nicht Winzer, sondern bloß Biertrinker (›Hoppe‹ kommt nämlich von ›Hopfen‹/fh), keine Künstler, sondern bloß Blasmusikanten, die jedes Jahr wieder von neuem schlecht kostümiert durch ein Dorf in den südaustralischen Weinbergen marschieren, um die Gäste in Stimmung zu bringen.
Die Gäste waren tatsächlich in Stimmung, sie verschlangen unterschiedslos alles, und Felicitas, mittendrin, gab eine erstaunliche Figur ab. Zum ersten Mal sah ich sie in einem Kleid (gemeint ist das traditionelle Hahndorfer Dirndl/fh), und obwohl ich das Kleid ziemlich scheußlich fand und sie immer noch ihren Rucksack trug, den sie auch später beim Tanzen nicht ablegte, fand ich sie zum ersten Mal schön, weil sie sich darin bewegte, als hätte sie nie etwas anderes getragen. Das Kleid war ihr wie auf den Leib geschneidert, eine Schützenkönigin auf Lebenszeit. Kann aber auch sein, ich sah sie zum ersten Mal, viel klarer als sonst, während sie unterschiedslos mit allen tanzte, nur nicht mit mir. Ich kann nämlich nicht tanzen, aber ich habe trotzdem Musik im Blut und sehe schon auf den ersten Blick, ob einer tanzt oder bloß auf der Stelle tritt. Und Felicitas tanzte.
Dass sie tanzen konnte, wusste ich spätestens seit den Grillfesten, die wir mit unserer Kompositionsklasse veranstaltet hatten, in denen sie, aller Feindschaft zum Trotz, gelegentlich sogar mit Mel Drugs getanzt hatte, der übrigens angesichts des gähnenden Abgrunds, über dem er sich angeblich befand, ein bemerkenswert eleganter und selbstvergessener Tänzer war. (Auch hierzu gibt es ein Bild, das den hochgewachsenen und eleganten Mel Drugs beim Tanzen mit Felicitas zeigt. Bei genauer Betrachtung ist man geneigt, die beiden für ein Liebespaar zu halten./fh) Aber hier in Hahndorf tanzte sie anders, so nah am Tänzer und an der Musik
(Man’s Flesh is delicious!)
, dass kein Platz für meine Eifersucht blieb.
Allerdings war Felicitas nicht nur eine begeisterte Tänzerin, sondern, was mir weit mehr Eindruck machte, auch eine begeisterte Schützin. Ich sehe sie noch genau vor mir, wie sie, leicht nach vorne über den Tresen gebeugt, das Kirmesgewehr an die rechte Wange geschmiegt, auf eine Reihe kleiner vorübergleitender Pappreiter zielt. Auf zehn Schuss drei Treffer, sie entschied sich jedes Mal für den dritten und für die Rose (Hoppes unangefochtene Lieblingsblume/fh). Zwei davon steckte sie mir an die Jacke, während sie die dritte in ihrem Rucksack verschwinden ließ und rief: Nein, ich bin nicht in Hahndorf geboren, hier scheint immer die Sonne, Ottos Brot ist das Beste, und Deutsch ist die schwerste Sprache von allen. Erst später, schon weit nach Mitternacht, erzählte sie mir«, fährt Viktor in
Buch F
fort, »wie sehr ihr Vater Hahndorf hasste (›Hahndorf ist eine historische Lüge!‹/kh/Karl Hoppe/fh), dass sie hier seit Jahren nur heimlich verkehre und nur noch so lange bleiben werde, bis sie genug Geld beisammenhabe, um endlich ein Schiff zu besteigen. Nicht um die Welt zu sehen, sondern um ihren Vater wiederzufinden, der kurz vor Weihnachten einfach verschwunden war.
Und nichts hinterlassen hat, keinen Brief, keinen Zettel, was sonst nicht seine Art ist, so kann man nicht gehen. Weshalb
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