Hoppe
sie Karls Steckbrief (seinen letzten Brief) wie ein Känguru in ihrer Hahndorfer Schürze trug (Growintheapron: Väter, die in der Schürze aufwachsen/fh), aber nicht die geringsten Anstalten machte, ihr Geheimnis mit mir zu teilen. In puncto Briefgeheimnis war die Diskretion zwischen Vater und Tochter sprichwörtlich. Meinen Hinweis, ein Steckbrief sei kein Geheimnis, sondern nichts als ein offener Brief, sichtbar und lesbar für alle, ließ sie nicht gelten.«
Das Hahndorfer Schützenfest verschafft uns, neben den in
Buch F
niedergelegten Eindrücken Viktor Seppelts vor allem Klärung darüber, warum Hoppe, neben Königen und Dirigenten (vgl. hierzu
Picknick der Friseure/Hochgewachsene Männer
) gerade Handwerkern, Wirten und Kellnern in ihrem schmalen Werk einen so großen wie emphatisch genutzten Raum einräumt. Entgegen der Meinung von Reimar Strat, der immer wieder behauptet hat, Hoppes »unglücklicher Hang zum Küchenpersonal«, ihre »penetrante Aufrufung des längst ausgestorbenen Handwerks und ihre Romantisierung aller uniformiert dienstleistenden Berufe« (»auf einen Computerspezialisten werden wir in dieser im schönsten Sinn zurückgebliebenen Prosa vermutlich vergeblich warten«) sei nichts als die Folge eines »sentimentalen Kleinbürgertums«, das sich »schlecht stilisierter und vollkommen unreflektierter literarischer Klischees« bediene, speisen sich ihre Texte in der Regel aus eigener Anschauung und praktischer Kenntnis der jeweiligen Berufsfelder, auch wenn sie, wie wir bereits weiter oben gezeigt haben, in ihren Texten gelegentlich beinahe zwanghaft versucht, der Wirklichkeit den Anschein eines Märchens zu verleihen.
Den Beruf des Kellners, den sie selbst mindestens vier Jahre lang in Hahndorf ausübte, kannte sie jedenfalls peinlich genau, vor allem wusste sie besser als andere, was es mit Stammgästen auf sich hat: »Stammkundschaft bringt am Ende nichts als Ärger, hoch die Erwartung, groß die Enttäuschung. (…) Schließlich ist man gezwungen, Hand anzulegen, ohne es eigentlich zu wollen.«
(Die Handlanger)
Neben den Handwerkern bleiben die Kellner die unangefochtenen Helden früher Hoppeprosa, weil sie, im Gegensatz zu intellektuellen Partnern, auf überraschend deutliche Weise kommunizieren. (»Der Kellner erwies sich als verständiger Zuhörer. Er stellte behutsam die eine oder andere Frage, ohne dabei seine Berufspflicht zu vernachlässigen.«) Und in ihrer Erzählung
Das Refektorium
, in der sie nicht nur ihrem bereits weiter oben erwähnten blinden Freund Joey ein Denkmal setzt, sind es, wer sonst, die Kellner, die nicht, wie Kapitän und Stewart, das Schiff voreilig verlassen, sondern »die umgestürzten Stühle im Speisesaal wieder an die richtige Stelle rückten und den Tisch frisch eindeckten für den blinden jungen Mann, der als Einziger das Schiff nicht verlassen hatte«.
In ihrem 2005 erschienenen Essay
Arche und Typus
pariert Hoppe zum wiederholten Mal Reimar Strats immer wiederkehrenden Vorwurf, sie sei nicht im Geringsten in der Lage zu psychologischer Figurenzeichnung und komme an keiner Stelle über den Holzschnitt hinaus, folgendermaßen: »Genaugenommen gibt es nur drei Typen von Schriftstellern: Erstens den Psychologen, der in Wahrheit gar kein Schriftsteller ist, weil er Menschen mit Fällen und Erzählungen mit Diagnosen verwechselt und folglich im Typus steckenbleibt, ohne jemals echte Typen zu schaffen. Zweitens den Charakterdarsteller, der zwar gelegentlich zu schönen Ergebnissen kommt, sich aber mit seinem Ehrgeiz zum Charakterbild den Blick auf das verstellt, was wirklich da ist, weshalb er meistens im Klischee steckenbleibt, das ist die mittlere Lage der Literatur. Und drittens den Künstler, der, weil er der Einzige ist, der weiß, wie das geht, Charaktere entschieden zu Typen bündelt, also sichtbar macht, worum es wirklich geht. Denn wozu ein Charakter«, fährt Hoppe fort, »wenn man stattdessen ein Typ sein kann?
Kein Mensch, wie differenziert auch immer, in dessen privatem Hinterzimmer nicht jenes eingemottete Fuchsfell hängt, das er sich zu gegebener Stunde heimlich überzieht, um wenigstens kurzfristig im Geheimen zu sein, was er offiziell niemals sein darf: ein Tier, das klüger ist als er selbst, weil es genau weiß, was es heißt, auf der Flucht zu sein. Ein Gejagter, der die Gegend weit besser kennt als seine Jäger und dem der Gedanke gefällt (ja, wider Erwarten denken auch Füchse!), seinen Verfolgern unterwegs in die Ewigkeit hin und
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