Hoppe
bester Laune, jedenfalls tat sie so. Den Stift in der Hand und das Heft (Marke
Clairefontaine
) auf den Knien, machte sie sich sofort an die Arbeit. Gegen verlorene Nächte helfen nur Pläne. Sie war verliebt, nicht in mich, sondern in ihre Zettel und Listen, in die Illusion eines Alltags, den wir nie haben werden, lauter Listen gegen das wirkliche Leben. Immer trumpft sie mit Listen auf, um kurzfristig Ordnung zu schaffen. Denn sie ist, was sie niemals zugeben wird, nach ihrem Entführer geraten, eine Listenkönigin.
Während Felicitas schrieb, ging ich zurück aufs Zimmer, um unsere Sachen zu packen. Die Luft war immer noch dick, obwohl die Fenster weit offen standen. Auf der linken Fensterbank lag der Puck, auf der rechten lagen Maske und Hockeyschläger, in der Ferne die Schiffe und Kanada. Neben dem Bett der Adventskranz, auf den Nachttischen die Reste der Torten. Die Gäste hatten sich schadlos gehalten, vom Marzipanfass war nur noch die Spundrose da und vom Nougatklavier nur noch die vier Krokanträder und der Deckel mit dem Doppelherz. Über den Boden verstreut lagen Scherben, die ich im Hinausgehen mit dem linken Fuß unters Bett schob, um wenigstens scheinbar für Ordnung zu sorgen.
Als ich zurück in den Frühstücksraum kam, war Felicitas verschwunden. Auf dem Tisch, zwischen Krümeln und Eierschalen, lag, notiert in alphabetischer Reihenfolge, die Hochzeitsliste: Bernstein, Leonard:
At My Wedding (Meine Hochzeit)
. Brower, Margaret:
Wedding Song (Hochzeitslied)
. Goldmark, Karl:
Rustic Wedding Symphony (Hochzeit auf dem Lande)
. Grieg, Edvard:
Wedding Day at Troldhaugen (Troldhaugens Glück)
. Mendelssohn, Felix:
Midsummernight’s Dream (Ein Mittsommernachtstraum)
. Mozart, Wolfgang Amadeus:
The Marriage of Figaro (Die Hochzeit des Figaro)
. Purcell, Henry:
The Married Beau (Der schöne Bräutigam)
. Rimski-Korsakow, Nikolai:
The Tsar’s Bride (Die Braut des Zaren)
. Tippett, Michael:
The Midsummer Marriage (Mittsommerbräute)
.
Zwei Stücke fehlten: Brad Waltons komische Barockoper
The Loves of Wayne Gretzky (Gretzkys heimliche Liebe)
und Felicitas’ Ballade für Bariton:
Ich stehe ratlos vor dem Hamelner Hochzeitshaus.
Neben der Liste lag ein Zettel: ›Treffpunkt Schützenfest ( 6 p.m.) F.‹«
»Noch am selben Vormittag«, so Viktor Seppelt, »begann ich
Buch F
zu schreiben.«
Buch F
, zwei schlichte, in einer nervösen Linkshänderhandschrift geführte Hefte der Marke
Mead Composition
, beginnt mit dem folgenden Steckbrief: »F ist klein, kräftig, sehr sportlich (starke Waden) und zeichnet sich durch einen Hang zu Wetten aller Art aus, die sie meistens verliert (Tendenz zur Hochstapelei). Neigung zu Schnitzeljagden. Liebt es, Spuren zu legen, um sie gleich darauf wieder zu verwischen. Hase und Igel in einer Person. Präsenz durch Abwesenheit.«
Die Botschaft auf dem Zettel lässt sich allerdings mit Hilfe von Lady Ayrton rasch nach x und zum Hahndorfer Schützenfest hin auflösen, wo Felicitas sich seit Jahren ein Zubrot als Kellnerin verdient, was ihr jede Menge Trinkgelder einbringt, weil sie mühelos mit den Gästen ins Gespräch kommt, vor allem deshalb, weil sie dabei hin und wieder, mit einem betont starken Akzent, deutsche Brocken einfließen lässt. »Sie sind alle in ihren Akzent verliebt«, schreibt Viktor weiter, »weil sie natürlich nicht wissen, was ich bis letzte Nacht auch nicht wusste, dass sie fließend Deutsch spricht und nur so tut, als sei sie des Deutschen nicht mächtig und verfüge bloß über die großartige Gabe rascher Auffassung und phonetischer Imitation. Darüber verfügt sie tatsächlich. Wenn sie die unbeholfenen englischen Bestellungen deutscher Gäste in ein ebenso unbeholfenes, aber höchst charmantes Deutsch bringt, sind die Gäste begeistert und wollen ihr alle sofort was beibringen, zum Beispiel, wie man ›Bitte bringen Sie mir‹ mit einem echten deutschen ›R‹ unterlegt.
Es war ein Schauspiel, ihr dabei zuzusehen, wie sie sich zur naiven Schülerin machte und wie kindisch sich die ausländischen Gäste freuten, weil Felicitas sie in dem Glauben ließ, sie brächten ihr tatsächlich was bei, sie die Dompteure, Felicitas Äffchen und Esel in einer Person. Lauter Freizeitdompteure mit spitzen Mündern, die sehr laut und mit heftigen Gesten (als wäre Felicitas taub oder nicht ganz klar im Kopf) immer wieder von vorn dieselben Sätze sagten: Sind Sie wirklich von hier?, Scheint hier immer die Sonne?, Ottos Brot schmeckt gut! (Felicitas kellnerte
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