Hoppe
Briefe zu schreiben.
Vor dem Hintergrund von Hoppes Mehrsprachigkeit zeigt sich die Diskussion um ihr Werk heute unvermutet in einem neuen Licht. In einer Rezension zu
Picknick der Friseure
konnte der Rezensent Reimar Strat noch so ahnungslos wie polemisch bemerken: »Schönes Deutsch – aber ist es von heut?«, womit er nicht nur die Rezeption von Hoppes Debüt, sondern die Rezeption ihres Werkes insgesamt nachhaltig beeinflussen sollte. Fortan war nicht mehr von Hoppes Geschichten, sondern nur noch von »Hoppes Sprache« die Rede, die sich »in einem altmodischen Sonderraum« breitgemacht habe und, wie noch ein Kritiker der frühen zehner Jahre bemerkt, »nichts anderes als ein Museum der Wünsche« markiere, »die Besetzung eines verlorenen literarischen Raums, der keinerlei Schnittmengen mehr mit der Wirklichkeit bildet«.
Das entspricht, allerdings nicht im Sinn des Rezensenten, tatsächlich der Wahrheit. Hoppe war, was ihr Werk betrifft, damals wie später gar nicht daran interessiert, Schnittmengen mit der Wirklichkeit zu bilden. Bereits in ihren kanadischen Jahren schreibt sie wild entschlossen an Texten, die sie ebenso entschlossen mit niemandem teilt. Auch nicht mit ihrem Erfindervater, dem Einzigen, »der meine Sprache spricht und das lesen könnte«. Was zwar nicht der Wahrheit entsprach, aber folgenreich blieb: Das deutsche Kindheitswerk blieb ausdrücklich verschlossen, es hatte weder Zuhörer noch Leser.
Was Strat und seinen Kollegen (die Hoppe bis weit in die zehner Jahre hinein als »typisch deutsche Schriftstellerin« klassifizierten) ebenso entging wie Bamie Boots, war die Tatsache, dass Hoppes »Sonderraum« keineswegs imaginiert, sondern Realität war. Auf der Basis des aktuellen Forschungsstands erklärt sich die angelesene Sprache dagegen von selbst. Selbstverständlich war Hoppes Deutsch »nicht von heut«, besser gesagt, es war »nicht von hier«, weil sie selbst nicht von hier, sondern von dort war. Ihre Sprache ist, was sonst, nicht erlebt, sondern ambitioniertes Referat einer höchst persönlichen Sehnsucht, genau wie die erst fünfzehn Jahre nach
Picknick
entdeckten
Briefe an vier deutsche Geschwister
und die
Postkarten an meine Eltern
.
Von den Kindheitswerken ganz zu schweigen, die bis heute nur in Teilen zugänglich sind, darunter
Häsi, das Hasenkind
( 1967 ),
Roy Tiger
( 1967 ),
Mecky, der Igel
( 1968 ),
Pök, der kleine Marsmensch
( 1968 ),
Veilchen und Kamille
( 1969 ),
Der alte Herr Tabak
( 1969 ),
Zirkus Petronelle
( 1972 ) und neben einer geradezu überwältigenden Fülle von Gedichten (von
Der Stein
über
Das Lied von der Regentonne
,
Der Esel
,
Tanne im Wald
und
Schöne Tulpe
bis hin zu
Der Zauberberg
und
Satan in der Hölle
) vor allem der Entwurf zu einer allerersten Autobiographie, die folgendermaßen beginnt: » ICH . Meine Familie. Mein Name und meine Wünsche und mein Leben. Felicitas Hoppe. Das bin ich. Im Augenblick, in der Zeit wo ich meine Erlebnisse schreibe, bin ich zehn Jahre alt. Ich habe trotz meiner erst zehn Jahre doch schon eine Menge erlebt.« (Zitiert nach dem handschriftlichen Manuskript.)
Wenige Zeilen später bricht die Autobiographie ab, vermutlich weniger aus Mangel an Stoff (Felicitas hatte tatsächlich schon eine Menge erlebt) als aus Mangel an Ausdauer. Die behauptete Dringlichkeit des Unternehmens bleibt davon unberührt. An jeder Stelle des Kindheitswerkes wird spürbar, wie ernst Felicitas bereits als Kind ihre Arbeit nahm. Der nur wenige Jahre später entstandene, zwar schmale, aber immerhin formal ernsthaft abgeschlossene Geschwisterroman (
Die Unausstehlichen
) macht mehr als deutlich, dass die vier deutschen Geschwister aus Hameln in Felicitas’ Schreiben längst einen festen und prominenten Platz eingenommen hatten. Bereits hier wird Hoppes sich später immer nachdrücklich ausprägender Hang zur Erfindung familiärer Idyllen deutlich, die allerdings ständig und beharrlich gegen die Strapazen des Familienalltags in einem zu kleinen Haus am Hamelner Stadtrand verteidigt werden müssen, die die junge Autorin nicht ohne Ehrgeiz und mit überraschend großer Genauigkeit und Detailtreue beschreibt. (Hier dürfte die Gretzkyfamilie zumindest in Teilen Modell gesessen haben.)
Ihr Erstlingswerk dagegen,
Häsi, das Hasenkind
, eindeutig ein Plagiat angelesener Kinderbücher, erzählt vor der märchenhaften Kulisse deutscher Waldeinsamkeit (oder sind es die Wälder Kanadas?), ist alles andere als ein Idyll. Hinweisend bereits der erste Satz:
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