Hornblower 03 - Hornblower auf der Hotspur
achteraus nach der Loire - sie lag noch immer steuerlos im Wind. Die Breitseite hatte offenbar aller Zucht und Ordnung ein Ende gemacht. Und dort drüben lag schwarz und unwirtlich die Insel Ouessant.
»Zwei Strich backbord«, sagte er zum Rudergänger. Kein vernünftiger Mensch opferte unnötig Seeraum.
»Wollen wir nicht an den Wind gehen und dem Burschen den Rest geben, Sir?« fragte Bush. »Nein.«
Trotz aller Kampflust und Siegestrunkenheit kam er zu diesem höchst vernünftigen Entschluß. Wohl hatte die Hotspur eine Breitseite unbeantwortet auf ihren Gegner abfeuern können, aber sie war trotz dieses anfänglichen Vorteils immer noch viel zu schwach, um freiwillig einen Zweikampf mit der Loire wagen zu können. Hätte die Loire einen Mast verloren, wäre sie manövrierunfähig gewesen, so hätte er es versucht. Die beiden Schiffe waren jetzt schon eine Meile auseinander; in der Zeit, die er brauchte, um diese Strecke aufzukreuzen, hatte der Gegner bestimmt den erlittenen Schock überwunden und war bereit, ihn gebührend zu empfangen. Da, jetzt hatte die Loire glücklich aus dem Wind gedreht und kam soeben wieder in Fahrt. Es wäre ausgemachter Unsinn gewesen, sich nochmals mit ihr einzulassen. Die Männer schnatterten wie Affen durcheinander und tanzten in ihrem Siegestaumel wie Affen an Deck herum. Hornblower griff nach dem Megaphon, um seinem Befehl mehr Nachdruck zu geben: »Ruhe an Deck!«
Auf sein lautes Kommandowort hin hüllte sich das ganze Schiff sofort in Schweigen, und aller Augen richteten sich auf ihn. Merkwürdigerweise schien er gar nichts davon zu merken, er schritt quer über das Achterdeck und wieder zurück, schätzte den Abstand von Ouessant, das jetzt an Steuerbord achtern unter die Kimm sank, und von der Loire , die nun vor dem Wind lag.
Eine Weile wartete er. Sein Entschluß stand schon beinahe fest, aber er wartete immer noch. Endlich gab er seinen Befehl.
»Luv das Ruder, Mr. Prowse, bitte setzen Sie das Großmarssegel back.«
Sie waren jetzt in der Mündung des Englischen Kanals, hatten die Loire in Luv und einen endlosen offenen Fluchtweg in Lee.
Hielt die Loire auf ihn ab, dann lockte er sie in den Kanal hinein. Bei einer Verfolgungsjagd vor dem Wind setzte er sich keiner großen Gefahr aus, zumal die Nacht bald hereinbrach.
Die Loire dagegen verzichtete bei einem solchen Unternehmen auf ihren sicheren Rückhalt in den heimischen Gewässern und lief obendrein Gefahr, auf überlegene Einheiten der britischen Navy zu stoßen. Beigedreht wartete er nun, ob der Franzose nicht doch der gefährlichen Versuchung erlag, ihn zu jagen.
Aber dann sah er, wie seine Rahen herumschwangen und wie er mit Steuerbordhalsen davonzog. Die Loire strebte nach Hause, sie wollte die Einfahrt nach Brest in Lee behalten. So gebot es die Vernunft, so verlangten es die überkommenen Regeln der Seekriegsführung. Aber nach außen hin, für jeden Mann auf der Hotspur - und übrigens auch für jeden Mann auf der Loire -, sah alles ganz anders aus. Für sie alle hatte die Hotspur die Loire zum Kampf herausgefordert, und diese war darauf mit eingezogenem Schwanz ausgerückt. Als die Besatzung der Hotspur sie davonsegeln sah, brach sie in wildes Hurrageschrei aus, so daß Hornblower abermals zum Megaphon griff:
»Ruhe! Ruhe an Deck!«
Seine Heiserkeit war ein Zeichen der körperlichen Erschöpfung, die ihn just im Augenblick des Sieges in die Knie zwingen wollte. Nein, er brachte kein Wort heraus, nur denken, denken... Ob sein Gehirn noch einen klaren Befehl hergab? Er hängte das Megaphon in seinen Halter und wandte sich an Bush.
Diese beiden spontanen Gesten wirkten seltsam dramatisch auf die Männer der Besatzung, die ihm mit ihren Blicken folgten, weil sie etwas wie eine Ansprache von ihm erwarteten.
»Mr. Bush! Wollen Sie die Güte haben, die Freiwache zu entlassen.« Diese paar Worte hatten ihn erhebliche Anstrengung gekostet. »Aye, aye, Sir.«
»Lassen Sie die Geschütze festmachen und die Männer von Klarschiffstationen wegtreten.«
»Aye, aye, Sir.«
»Mr. Prowse!« Hornblower schätzte mit einem Blick auf Ouessant, wie viel kostbares Luv sie im Verlauf der letzten Manöver verloren hatten. »Bitte bringen Sie das Schiff mit Steuerbordhalsen an den Wind.«
»An den Wind, mit Steuerbordhalsen. Aye, aye, Sir.«
Genaugenommen war das der letzte Befehl, den er im Augenblick zu geben hatte. Jetzt war es soweit, jetzt konnte seine Sehnsucht nach Schlaf, nach Ruhe endlich Erfüllung finden.
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