Hornblower 03 - Hornblower auf der Hotspur
vollendetem Scharfsinn gewählt. Ein Franzose auf Petit Minou mußte jetzt glauben, Pellew habe, den dunklen Osthimmel vor Augen, angenommen, seine Schiffe seien von Land aus nicht mehr zu sehen, und sei daher an den Wind gegangen, ohne zu ahnen, daß sein Manöver gegen den Westhimmel immer noch sehr gut zu erkennen war. Hornblower starrte in die Finsternis, bis ihn die Augen schmerzten. Um sie auszuruhen, schloß er die Lider und hielt sich mit beiden Händen an den Hängemattskästen. Nie hatte ihm eine einzige Minute so endlos lang geschienen. Nun tat er die Augen wieder auf - es war schwarze Nacht; wo die Sonne gestanden hatte, leuchtete die Venus. Die Menschen an Deck waren auch aus nächster Nähe kaum noch zu erkennen.
Nach einer Weile unterschied er endlich ein paar der hellsten Sterne. Auch das schärfste Auge auf Petit Minou konnte jetzt die Hotspur nicht mehr ausmachen. Hornblower straffte die Muskeln: Die Zeit zum Handeln war gekommen.
»Mars- und Bramsegel bergen!«
Die Männer enterten eilends nach oben. In der stillen Nacht hörte man das klingende Vibrieren der Wanten, als die fünfzig Mann über die Webeleinen in die Höhe stürmten. »Mr. Bush, bitte halsen Sie. Neuer Kurs Süd zu West.«
»Süd zu West, Sir.«
Bald wurde es Zeit, den nächsten Befehl zu geben. »Fier die Bramstengen!«
Jetzt mußte sich zeigen, was durch fleißiges Üben und Exerzieren erreicht worden war. Siehe da, dank der vielgelästerten ewigen Schinderei ging das Manöver jetzt im Stockdunkeln ohne Störung vonstatten. »Heiß Vor- und Großstengestagsegel! Fock klar zum Bergen!« Hornblower trat an den Kompaß.
»Wie gehorcht das Schiff unter diesen Segeln dem Ruder?«
Darauf kam eine Weile keine Antwort, der Rudergänger drehte prüfend das Rad nach beiden Richtungen. »Ganz gut, Sir«, sagte er schließlich. »Ausgezeichnet.«
Hornblower hatte das Aussehen der Hotspur so stark geändert, wie es überhaupt möglich war. Unter Stagsegeln und Großsegel, vor allem aber ohne Bramstengen hätte in dieser dunklen Nacht sogar ein besonders erfahrener Seemann nicht auf den ersten Blick erkannt, was er für ein Fahrzeug vor sich hatte. Im schwachen Licht der Kompaßlaterne warf Hornblower einen Blick auf die Karte. Noch einmal wollte er sie mit voller Sammlung studieren, kam aber alsbald zu dem Ergebnis, daß das ganz überflüssig war. Zwei Tage lang hatte er sich das Kartenbild des in Frage kommenden Küstenstrichs unermüdlich eingeprägt, und darum stand es ihm jetzt mit allen, selbst den kleinsten Einzelheiten so deutlich vor Augen, daß ihm schien, als könnte es ihm bis zum Tage seines Todes nicht mehr verloren gehen - bis zu seinem Todestag..., o Gott, der konnte ja schon morgen sein. Er hob den Kopf und stellte wie erwartet fest, daß der Schein der schwachen Kompaßlampe genügt hatte, ihn für eine Weile richtig nachtblind zu machen. Das durfte er nicht ein zweites Mal riskieren.
»Mr. Prowse, bitte, ziehen Sie von nun an die Karte zu Rate, wenn Sie es für nötig halten. Mr. Bush, bitte wählen Sie die beiden zuverlässigsten Lotgäste aus und schicken Sie sie zu mir achteraus.« Als sich die beiden dunklen Schattengestalten bei Hornblower meldeten, befahl er ihnen: »In die Großrüsten, einer an Steuerbord, einer an Backbord. Vermeidet jedes unnötige Geräusch. Wartet mit dem Loten, bis ich es befehle. Nach dem ersten Wurf holt eure Leinen ein und steckt sie dann auf vier Faden wieder aus. Wir machen jetzt drei Meilen Fahrt durchs Wasser, wenn nachher die Flut einsetzt, haben wir so gut wie keine Fahrt über Grund. Haltet die Leinen ständig in den Fingern und meldet leise, was ihr fühlt. Ich werde Leute aufstellen, die eure Meldungen weitergeben. Habt ihr verstanden?«
»Aye, aye, Sir.«
Vier Glasen verkündeten das Ende der zweiten Vorabendwache. »Mr. Bush, von jetzt an wird nicht mehr geglast. Und nun: Klarschiff zum Gefecht. Halt, noch eins: Lassen Sie bitte die Geschütze mit je zwei Kugeln laden und ausrennen. Befehlen Sie den Geschützführern, ihre Keile unter die Bodenstücke zu treiben und die Mündungen soweit wie möglich zu senken. Wenn das alles geschehen ist, will ich keinen Laut mehr hören, kein einziges Wort, nicht das leiseste Geflüster. Wer auch nur eine Handspake an Deck fallen läßt, hat zwei Dutzend Hiebe verwirkt. Es hat lautlose Stille zu herrschen.«
»Aye, aye, Sir.«
»Das wäre alles, bitte fangen Sie an.«
Während die Mannschaften auf ihre Gefechtsstationen eilten,
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