Hornblower 05 - Der Kapitän
Meinung erwecken, daß der Krieg vorüber ist, und in England erwartet die menschliche Herde, daß mein Bruder an der Spitze seiner Armee Weihnachten in Paris einzieht. Tut er es aber nicht, dann sind alle seine Siege vergessen, und man wird sein Haupt fordern.«
Hornblower mißfiel das Wort›Herde‹- nach Blut und Geburt gehörte er selbst zu ihr -, aber er konnte sich der tiefgehenden Wahrheit der Worte Lady Barbaras nicht verschließen. Sie hatte nur seiner eigenen Meinung hinsichtlich des spanischen Temperaments und der britischen Menge Ausdruck verliehen.
Dazu kam noch ihre Würdigung des Sonnenuntergangs und ihr Urteil über die spanischamerikanische Küche. Tatsächlich gefiel ihm die Frau ganz gut.
»Ich hoffe, Madame«, sagte er etwas schwerfällig, »daß Sie heute während meiner Abwesenheit mit allem Notwendigen versehen wurden. Ein Kriegsschiff bietet wenig Komfort, wie ihn eine Dame gewöhnt ist, aber ich nehme an, daß meine Offiziere ihr Bestes taten, Sie zufriedenzustellen, Madame.«
»Danke, Herr Kapitän, das taten sie allerdings; und nun möchte ich Sie nur noch um eine einzige Gefälligkeit bitten.«
»Was wäre das, Madame?«
»Daß Sie mich nicht mehr mit›Madame‹anreden. Nennen Sie mich doch Lady Barbara.«
»Gewiß, M... Lady Barbara. Ha... hm.«
Winzige Grübchen erschienen in ihren Wangen, und ihre lachenden Augen funkelten.
»Und wissen Sie, wenn Ihnen›Lady Barbara‹nicht leicht über die Lippen kommt, dann können Sie auch, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, immer›ha... hm‹machen.«
Hornblower wurde ganz steif ob solcher Unverschämtheit.
Schon war er drauf und dran, sich tief einatmend auf dem Absatz herumzudrehen und dann mit heftigem Räuspern auszuatmen, als ihm einfiel, daß er nie wieder, oder doch zum mindesten bis er einen Hafen anlief, in dem er diese Person loswerden konnte, von jenem nützlichen und unverbindlichen Geräusch Gebrauch machen durfte. Aber Lady Barbara hielt ihn mit ausgestreckter Hand zurück. Selbst in diesem Augenblick beachtete er ihre langen schlanken Finger.
»Verzeihen Sie mir, Herr Kapitän«, sagte sie zerknirscht.
»Bitte, seien Sie mir nicht böse, wenn ich jetzt auch einsehe, daß mein Benehmen unentschuldbar ist.«
Sie sah wirklich hübsch aus, als sie seine Verzeihung erbat.
Hornblower blickte unschlüssig zu ihr nieder. Er erkannte jetzt, daß er nicht wegen ihrer Ungezogenheit, sondern deshalb zornig war, weil diese geistreiche Frau bereits entdeckt hatte, daß sein Räuspern nur seine eigentlichen Empfindungen verbergen sollte, und damit wandelte sich sein Groll in das ihm angeborene Minderwertigkeitsgefühl.
»Da ist nichts zu verzeihen«, sagte er mühsam. »Und wenn Sie mich nun Ihrerseits entschuldigen wollen, so werde ich mich wieder um meine dienstlichen Pflichten kümmern.«
Er ließ sie in der schnell zunehmenden Dunkelheit zurück.
Gerade war ein Schiffsjunge nach achtern gekommen, um die Lampen des Kompaßhauses anzuzünden. Hornblower blieb stehen und besah sich die Schiefertafel, auf der die am Nachmittag zurückgelegte Entfernung vermerkt war. In seiner sorgfältigen Handschrift schrieb er den Befehl nieder, ihn unter gewissen Voraussetzungen zu rufen, denn im Verlauf der Nacht würde man Kap Mala umsegeln, und danach mußte auf nördlichen Kurs gegangen werden.
Hornblower ging nach unten und begab sich wieder in die Kajüte. Er fühlte sich seltsam beunruhigt, und zwar nicht nur wegen des Umstoßens seiner sämtlichen Gewohnheiten. Gewiß, es war lästig, daß ihm jetzt sein eigenes Wasserklosett nicht zugänglich war und daß er jenes der Offiziersmesse benutzen mußte, aber darum handelte es sich eigentlich nicht; auch nicht ausschließlich darum, daß er eine Begegnung mit der Natividad herbeizuführen suchte und daß es nun, da der›Vizeadmiral‹Cristobal de Crespo das Kommando führte, zu einem sehr harten Kampf kommen mußte. Das war schließlich nur ein Teil dessen, was ihn bewegte... und dann erschrak er fast, als er erkannte, daß seine Unruhe aus der zusätzlichen Verantwortung hervorging, die ihm die Anwesenheit der Lady Barbara auferlegte.
Er wußte sehr wohl, was ihrer aller Schicksal sein würde, falls er besiegt wurde. Samt und sonders würde man sie hängen, ertränken oder zu Tode foltern, denn el Supremo würde keine Gnade einem Engländer gegenüber walten lassen, der sich gegen ihn gewandt hatte. Er selbst hätte sich darüber gegenwärtig keine Gedanken gemacht, weil es
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