Hornblower 05 - Der Kapitän
gereffte Vormarssegel über ihm, und dann krachte drüben Schuß um Schuß in das Heck der englischen Fregatte. Der Qualm wurde vom Wind herübergetragen und blendete Hornblowers Augen. Er fühlte, wie das Schiff unter den Einschlägen erbebte, er vernahm einen gellenden Schrei ganz in seiner Nähe, während ein größerer Holzsplitter an seinem Gesicht vorbeiflog. Und dann, als er schon glaubte, mit in den allgemeinen Wirbel der Vernichtung hereingezogen zu werden, hörte die furchtbare Beschießung jählings auf, und die Natividad entfernte sich. Er lebte noch und vermochte sich umzusehen. Die Lafette der am weitesten achtern stehenden Karronade war zerschmettert worden, und einer der Kanoniere lag eingeklemmt unter den Trümmern.
Einige seiner Kameraden bemühten sich vergebens, ihn zu befreien.
»Aufhören!« schrie Hornblower. »Kappt den verdammten Plunder da! Mr. Clay, ich bitte mir aus, daß zugegriffen wird!«
Kaum zweihundert Meter weit entfernt begann die Natividad gerade schwerfällig in der grauen See schlingernd zu wenden, um ihrem hilflosen Gegner einen neuen Hieb zu versetzen. Zum Glück war sie wie die meisten ihrer Bauart ein schlecht steuerndes Schiff, so daß dem britischen Kommandanten zwischen den einzelnen Breitseiten mehr Zeit blieb, die Lydia wieder einigermaßen gefechtsklar zu machen.
»Vortopp!... Mr. Galbraith! Lassen Sie die Vorsegel bergen.«
»Aye, aye, Sir.«
Der Ausfall des vorderen Stengestagsegels und des Außenklüvers konnte bis zu einem gewissen Grade den Verlust des Kreuzmarssegels und des Besan wettmachen. Vielleicht ließ sich die Lydia wenigstens so weit an den Wind legen, daß sie dem großen Gegner zu antworten vermochte. Natürlich konnte das aber erst dann gelingen, wenn man sich all dieser mitgeschleppten Wracktrümmer entledigt hatte, die, einem riesigen Treibanker gleich, hinter dem Heck der Fregatte trieben. Ein flüchtiger Blick zeigte Hornblower, daß die Natividad gewendet hatte und sich anschickte, abermals hinter dem Achtersteven vorbeizusegeln.
»Vorwärts!« schrie er den fieberhaft arbeitenden Leuten zu.
»Holroyd und Tooms, ihr geht in die Besansrüst!«
Mit einemmal kam ihm der gellende, hysterische Klang seiner Stimme zum Bewußtsein. Unter allen Umständen galt es, vor Clay und der Mannschaft den Ruf unerschütterlicher Ruhe zu behalten. Mit Gewalt zwang er sich, ganz gelassen zu der heranrauschenden Natividad hinüberzuspähen. Er zuckte sogar lächelnd die Achseln, und wirklich gelang es ihm, im normalen Tonfall zu sprechen.
»Kümmert euch nicht drum, Kerls. Eins nach dem anderen.
Erst wollen wir uns den Plunder da vom Leibe schaffen, und danach sollen die Dagos ihr blaues Wunder erleben.«
Mit neubelebtem Eifer hackten die Leute auf das Durcheinander der zähen Wanten, Stagen und Pardunen los.
Irgend etwas gab nach, und das Überholen der von einer riesigen See emporgehobenen Fregatte ließ die Trümmer der Takelage etwas weiter nach achtern gleiten, bevor sie sich wieder verfingen. Hornblower ergriff selbst ein Beil und stürzte sich auf das Ende, das am hartnäckigsten haftete. Als er hastig hinüberblickte, gewahrte er die drohende Masse der anlaufenden Natividad, doch hatte er jetzt keine Zeit für sie. Er dachte nicht an die Bedrohung seines Lebens, sondern ärgerte sich nur maßlos, daß er in der Arbeit gestört wurde.
Und dann hüllte ihn der Pulverqualm der feindlichen Breitseite abermals wie in Nebel ein. Es krachte und splitterte ringsum. Jählings verstummte das Schreien des unter dem Kanonenrohr eingeklemmten Matrosen. Hornblower fühlte, wie unterhalb seiner Füße ein Geschoß in die am meisten gefährdeten Teile der Fregatte einschlug, aber er achtete nicht darauf, denn jetzt war er ganz und gar im Banne seiner Arbeit.
Das bisher so hinderliche Pardun brach unter seinen Axthieben.
Ein anderes wurde gleichfalls gekappt - welch ein seltsames Muster doch die Decksnähte bilden konnten, ging es ihm durch den Sinn -, ein drittes schoß mit dem losen Ende vorüber, und dann war die Lydia wirklich frei gekommen. Dicht vor den Füßen Hornblowers lag der junge Clay der Länge nach an Deck, aber Clay hatte keinen Kopf. Hornblower stellte das mit dem gleichen unpersönlichen Interesse fest, mit dem er das Muster der Decksnähte beobachtet hatte.
Eine plötzlich überkommende See durchnäßte ihn mit ihrem Gischt. Er wischte sich das Wasser aus den Augen und sah sich um. Die Mehrzahl der auf dem Achterdeck weilenden Offiziere,
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