Hornblower 07 - Unter wehender Flagge
Hornblower war. Er fühlte sich plötzlich krank infolge der ihm aufgezwungenen Haft. Er ballte die Fäuste und bedurfte starker Willenskraft, sie nicht in einer Geste der Verzweiflung empor zustrecken.
Sich innerlich seiner kindischen Schwäche wegen verhöhnend, riss er sich wieder zusammen. Um sich abzulenken, sah er auf das blaue Meer hinaus, das er so sehr liebte, er sah die Reihen der schwarzen Scharben, die sich wie Scherenschnitte von der grauen Klippe abhoben, und die Möwen, die unter dem blauen Himmel schwebten. Fünf Seemeilen vom Lande entfernt gewahrte er die Marssegel Seiner Majestät Fregatte Cassandra, die unermüdlich jene unter den Kanonen von Rosas liegenden vier französischen Schiffe bewachte, und jenseits von ihr waren die Royals der Pluto und der Caligula zu erkennen. Der Geschwaderchef erwartete das Eintreffen anderer Einheiten der Mittelmeerflotte, um dann mit diesen zusammen das französische Geschwader zu vernichten. Die Pluto führte die Flagge des Admirals Leighton im Topp, des unwürdigen Gatten der von Hornblower geliebten Lady Barbara, aber der Gefangene schüttelte den Gedanken daran ab. Er durfte sich darauf verlassen, daß die Briten seine Niederlage rächen würden. Martin, der das Blockadegeschwader von Toulon befehligende Vizeadmiral, würde schon dafür sorgen, daß Leighton den Angriff richtig durchführte, mochten die Batterien von Rosas auch keineswegs zu verachten sein.
Prüfend ließ Hornblower den Blick über die wuchtigen Vierundzwanzigpfünder gleiten, die die Mauer säumten. Die Flügelbastionen waren sogar mit Zweiundvierzigpfündern bestückt, ganz gewaltigen Geschützen. Er beugte sich über die Brüstung und blickte hinunter. Senkrecht fiel die Festungsmauer zu der etwa sieben Meter tiefer gelegenen Grabensohle ab. Die derben Palisaden, die sich dort drunten entlang zogen, konnten von einem Belagerer erst dann zerstört werden, wenn es gelungen war, eine Suppe bis zum anderen Rand des Grabens vorzutreiben. Gegen einen Handstreich war die Zitadelle von Rosas gefeit. Ständig schritten Patrouillen die Wälle ab. Drüben vor der Contreescarpe sah Hornblower die massiven Tore, deren Fallgitter herabgelassen waren. Dort lag stets eine Hundertschaft bereit, um jeden Überraschungsangriff abzuschlagen, der der Wachsamkeit der zwanzig Mann starken Vorposten entgehen konnte.
Drunten im Hof des Werkes exerzierte eine Kompanie.
Deutlich drangen die schrillen Kommandoworte bis zu dem Gefangenen herauf. Sie waren italienisch. Bonaparte hatte die Eroberung Kataloniens vorwiegend den fremden Hilfstruppen seines Kaiserreichs, den Italienern, Neapolitanern, Deutschen, Schweizern und Polen, anvertraut. Die Uniformen der exerzierenden Truppe sahen zerlumpt aus, und die Richtung taugte ganz und gar nichts. Selbst die Fetzen, mit denen die Leute bekleidet waren, zeigten kein einheitliches Aussehen. Sie trugen weiße, blaue, graue oder braune Stücke, den Beständen entsprechend, über die die liefernden Depots verfügten. Auch schienen die armen Teufel halb verhungert zu sein. Von der fünf bis sechstausend Mann starken Division waren jene Leute, die Hornblower sah, ungefähr alles, was für den eigentlichen Dienst in Frage kam; alle anderen suchten in der näheren oder weiteren Umgebung der Stadt Lebensmittel aufzutreiben, denn niemals fiel es Bonaparte ein, für die Verpflegung seiner in Feindesland stehenden Truppen zu sorgen, die auch nur selten die Löhnung erhielten. Erstaunlich war es, daß dieses uneinheitliche Imperium so lange zusammenhielt. Es bewies damit die Unzulänglichkeit der verschiedenen Königreiche, die sich Napoleon entgegengestellt hatten. Am anderen Ende der Iberischen Halbinsel kämpfte Wellington mit seiner disziplinierten, teilweise aus Deutschen bestehenden Armee.
Hornblower war davon überzeugt, daß die von Wellington geführten Rotröcke erfolgreich sein würden, und diese Gewissheit hätte er auch dann gehabt, wenn der Feldherr nicht der Bruder der geliebten Lady Barbara gewesen wäre.
Dann aber zuckte er die Achseln. Selbst Wellington konnte das französische Kaiserreich nicht schnell genug zu Fall bringen, um ihn vor der Erschießung zu bewahren. Überdies war jetzt die Zeit des täglichen Spaziergangs abgelaufen, der nächste Abschnitt seiner eintönigen Tageseinteilung bestand in einem Besuch der in der Kasematte untergebrachten Verwundeten.
Dann kamen die im Magazin eingeschlossenen Gefangenen an die Reihe. Die Höflichkeit des
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